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Warum Litauen nicht für jedes Fintech die beste Lösung ist

Von Alexander Gebhard*

Nicht erst seit dem Brexit stellt sich für viele Finanzdienstleister und zunehmend auch für viele Fintechs die Frage, in welchem EU-Land sie ihren Hauptsitz und damit ihre regulatorische Basis haben wollen. Für Fintechs aus dem Vereinigten Königreich ist dies aktuell von besonderer Bedeutung, denn Regelungen für die gegenseitige Anerkennung von regulatorischen Lizenzen (das sogenannte „Passporting“) sind im Austrittsabkommen für den Finanzsektor bekanntermaßen nicht enthalten. Diverse Londoner Fintechs planen, ihre Headquarter auf den Kontinent zu verlegen, einige prominente Unternehmen haben dies bereits getan. Ziel ist immer öfter: Litauen.

Das ist kein Zufall – Litauen arbeitet aktiv daran, ein führender Fintech-Hub zu werden und bildet die Speerspitze der Staaten, die eine Führungsrolle im Bereich digitaler Finanzdienstleistungen beanspruchen. Was aber macht diese Standorte und insbesondere Litauen aus Sicht vieler Fintechs derzeit so attraktiv?

Natürlich sind da zunächst die weichen Faktoren, die allesamt ihre Berechtigung haben: ein starkes Tech-Ökosystem, ein niedriges Lohnniveau, viele junge, gut ausgebildete Menschen. Wie sieht es aber mit den regulatorischen Rahmenbedingungen aus? Die Anforderungen an den Erwerb einer Lizenz für die Erbringung von Finanz- oder Zahlungsdienstleistungen sind innerhalb der EU im Grundsatz harmonisiert. Wer also zum Beispiel Kredite vergeben oder Zahlungsdienste erbringen will, muss innerhalb der EU grundsätzlich überall dieselben Voraussetzungen erfüllen. Dennoch gibt es auch hier im Detail Ausnahmen und Unterschiede.

Das betrifft zum einen den Katalog der erlaubnispflichtigen Tätigkeiten selbst. So ist etwa die Aufsicht über Leasing- und Factoring-Institute europarechtlich nicht harmonisiert. Mitgliedsstaaten können hier also geringere Anforderungen formulieren oder die Tätigkeiten sogar gänzlich erlaubnisfrei stellen.

Es locken: eine „Spezialbanklizenz“ und viel Entgegenkommen

In Bezug auf klassische Banken sieht die Kapitaladäquanzrichtlinie (Capital Requirements Directive, CRD IV) für die Mitgliedsstaaten zum anderen eine Option vor, sogenannte „besondere Kategorien von Kreditinstituten“ zu schaffen, für die erheblich geringere Anforderungen an das Anfangskapital gelten. Litauen hat hiervon Gebrauch gemacht und Unternehmen die Möglichkeit eröffnet, eine sogenannte „Spezialbanklizenz“ zu beantragen. Diese Lizenz bietet nahezu alles, was auch eine normale Banklizenz beinhaltet, lediglich der Betrieb einer Peer-to-Peer Lending-Plattform sowie einer Crowdinvesting-Plattform sind hiervon ausgenommen. Dafür sind als Anfangskapital statt 5 Mio. Euro lediglich 1 Mio. Euro erforderlich.

Ein cleverer Schachzug der Balten, die damit eine der wenigen Möglichkeiten nutzen, einen echten Standortvorteil in Bezug auf „harte Faktoren“ zu generieren. Der entscheidende Teil ist: Wer erst einmal im Besitz einer solchen Spezialbanklizenz ist, kann diese wie jede andere Lizenz auch grundsätzlich in jeden anderen Mitgliedsstaat passporten und dort nutzen, auch wenn diese Mitgliedsstaaten diese Option gar nicht unterstützen.

Abseits solcher harten Faktoren bleibt ansonsten nur die Möglichkeit, im Rahmen der laufenden Beaufsichtigung Vorteile zu schaffen. In Deutschland gibt es ein Level Playing Field: Die jeweils für einen bestimmten Bereich geltenden regulatorischen Anforderungen sind für alle Unternehmen gleich. Andere EU-Länder gehen hier teilweise etwas offensiver vor. Insgesamt gibt es derzeit zehn Mitgliedsstaaten, die eine sogenannte regulatorische „Sandbox“ anbieten, also ein geschütztes Umfeld, in dem Fintechs ihre Produkte für einen begrenzten Zeitraum testen können, ohne dabei gleich von Beginn an alle regulatorischen Vorgaben erfüllen zu müssen.

In der Regel bedeutet Sandbox nicht mehr, als dass die jeweilige Aufsichtsbehörde einen ausgeprägteren Dienstleistungsansatz verfolgt und punktuelle Erleichterungen vorsieht (zum Beispiel in Bezug auf die aufwändigen Reportingpflichten). Den erforderlichen Spielraum ermöglicht der Proportionalitätsgrundsatz, dem zufolge Institute bestimmte aufsichtsrechtliche Vorgaben nur insoweit bzw. in der Intensität umzusetzen haben, wie Art, Umfang und Komplexität ihrer Geschäfte dies im Einzelfall erfordern. Das ist eigentlich ein ideales Tool für die Gestaltung von Sandboxes, doch bisher haben die diversen Aufsichtsbehörden davon nur sehr vorsichtig Gebrauch gemacht, aus gutem Grund. Die österreichische Finanzaufsicht etwa wirbt mit einer Sandbox, beeilt sich aber im gleichen Atemzug klarzustellen, dass damit keine Herabsetzung der Aufsichtsstandards verbunden ist.

Anders die litauische Aufsichtsbehörde: Sie rollt den ganz breiten roten Teppich aus. Tatsächlich liest sich der Internetauftritt der Bank of Lithuania an vielen Stellen wie ein Werbeprospekt. Im Rahmen eines Newcomer-Projekts verspricht die Behörde eine „kooperative und reibungslose Genehmigung“. „Strafmaßnahmen“, so die Aufsicht, müssten die jungen Unternehmen zunächst nicht befürchten. Das Entgegenkommen der Aufsicht geht so weit, dass zwischen Behörde und Antragsteller selbst das Niveau des Verbraucherschutzes ausgehandelt werden kann.

Graben Litauen und die anderen Sandbox-Anbieter den übrigen Mitgliedsstaaten der EU damit das Wasser ab? Es kommt darauf an. Sowohl Kunden als auch Investoren werden genau hinsehen, mit welchem Unternehmen sie es zu tun haben. Denn potenzielle Kunden müssen in Kauf nehmen, dass Vertragspartner dann eben auch ein litauisches Unternehmen ist mit – im Zweifel anwendbarem – litauischem Recht und litauischer Einlagensicherung. Eine durchaus beachtenswerte Randnotiz, angesichts der Tatsache, dass sich die baltischen Staaten bei den Bankinsolvenzen in den vergangenen Jahren die vorderen Ränge teilen.

Auch die Vergabe von lokalen IBANs in den eigentlichen Zielmärkten ist nicht ohne weiteres möglich. In Deutschland etwa ist hierfür unter anderem eine lokale Präsenz erforderlich. Das kann für die Kunden mitunter zu Problemen führen, da hierzulande nach wie vor etliche Unternehmen Referenzkonten mit bestimmten ausländischen IBANs ablehnen. Ein Missstand, den ein Zusammenschluss diverser Fintechs (etliche davon übrigens mit Lizenz aus Litauen) unter der Initiative „Accept my IBAN“ aktuell abstellen will. Die tägliche user experience sieht derzeit gleichwohl noch anders aus.

Wenn Firmen wachsen, droht eine aufwändige Umstellung

Eine Lizenz in Litauen mag insbesondere für sogenannte „Einhörner“ (Fintechs mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde US-Dollar) und große etablierte Unternehmen sehr wohl attraktiv sein. Wer etwa einen Zahlungsdienst von Google nutzen will, dem wird es vermutlich nicht darauf ankommen, wo das lizensierte Unternehmen seinen Sitz hat und welche IBAN er bekommt. Das Vertrauen in die große Marke überwiegt ganz einfach.

Für kleinere Fintechs in der Markteintrittsphase dürfte es indes eine größere Herausforderung sein zu erklären, warum sie die normalen (sprich höheren) regulatorischen Anforderungen vermeiden und stattdessen die regulatorische Nische suchen. Schließlich kann die Wahl eines höheren Regulierungsstandards auch mit Blick auf Finanzierungsrunden durchaus von Vorteil sein. Die Aufsicht in Deutschland kann ihre Dienstleistungsfunktion sicherlich schärfen (der Koalitionsvertrag spricht erfreulicherweise bereits davon, dass „effektive und zügige Genehmigungsverfahren für FinTechs“ geschaffen werden sollen). Doch bester Freund und Förderer von Fintechs sollte die Aufsichtsbehörde – nicht erst seit Wirecard – nie sein. Trotz aller damit verbundenen Kosten werden Investoren künftig sicherlich ein noch höheres Interesse daran haben, dass auch die Aufsicht angemessene Maßstäbe an Unternehmen anlegt.

Eine bloße Rochade – also zum Beispiel eine Holding in Deutschland, die die Brand vermarktet, und eine lizensierte Tochtergesellschaft im Ausland – wird künftig auch nicht mehr so einfach möglich sein. Seit kurzem gibt es europaweit eine neue Pflicht zur Beantragung einer eigenen Lizenz für sogenannte „Finanzholdinggesellschaften“. Das sind – verkürzt gesagt – Unternehmen, die vorrangig Beteiligungen erwerben und deren Tochtergesellschaften schwerpunktmäßig lizensiertes Geschäft betreiben.

Für die jungen Fintechs könnte der vermeintliche Vorsprung durch eine Sandbox am Ende sogar zu einem Boomerang werden, nämlich dann, wenn sie der Sandbox entwachsen und am Ende doch die „normalen“ regulatorischen Anforderungen erfüllen müssen. Im laufenden Geschäftsbetrieb kann eine solche Umstellung sehr aufwendig werden. Oft reicht es schon aus, dass die Unternehmen mit Umsatz und Kundenzahl wachsen, damit sich die aufsichtsrechtlichen Anforderungen erhöhen – eine Erfahrung die bereits einige Fintechs schmerzlich machen mussten.


*Alexander Gebhard, LL.M. (London), ist Rechtsanwalt und Partner für Financial Regulatory bei Schalast, einem der Premium-Partner von Finanz-Szene.de. Mehr zum Partner-Modell erfahren Sie hier.

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