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Kaum Umsatz, viel Cashburn: Vivid Money und der weite Weg zur Profitabilität

Mit den Challenger-Banken ist es hierzulande so eine Sache: Entweder, sie verschwinden, kaum gestartet, gleich wieder, weil ihnen das Geld ausgeht (Nuri, Ruuky) bzw. sich eine Exit-Möglichkeit auftut (Penta, Kontist). Oder sie haben (N26, Solarisbank) die Bafin am Hals. Was man dann durchaus als Botschaft verstehen darf, dass man ab einem bestimmten Reifegrad nicht mehr Challenger ist – sondern Challenger hat.

Womit wir bei Vivid Money wären. Denn Vivid Money, der vielbeschworene „N26-Challenger“, befindet sich irgendwo zwischen den beiden Polen. Einerseits noch da. Andererseits aber auch noch nicht so groß, dass es irgendwen groß kümmern würde.

Kurz rekapituliert: 2020 ging Vivid Money an den Start, also zu Pandemie-Zeiten. Nicht mal zwei Jahre später bezifferten die Berliner ihre Kundenzahl bereits auf rund 500.000. Begleitet wurde diese Entwicklung von stattlichen Fundings, die Bewertung stieg nach eigenen Angaben auf beachtliche, aber auch schwer zu greifende 750 Mio. Euro. Und eigentlich immer schon schwang die Frage mit: Wie gut sind die eigentlich wirklich?

Finanz-Szene liegen nun erstmals Geschäftszahlen vor. Und wir haben uns den N26-Herausforderer, seine Performance und seine Strategie auch darüber hinaus mal ein bisschen genauer angeschaut (wobei wir u.a. auf einen ziemlich üppigen, bislang öffentlich unbemerkt gebliebenen Jobabbau gestoßen sind). Bitte sehr:

Wie sieht die uns vorliegende GuV aus?

So:

in Tsd. € 2021 2020
Umsatzerlöse 3.454 1.108
Sonstige betriebl. Erträge 250 43
Materialaufwand -9.291 -1.279
davon Aufwendungen für Roh-, Hilfs-, und Betriebsstoffe und für bezogene Waren -3.288 0
davon Aufwendungen für bezogene Leistungen -6.003 -1.279
Personalaufwand -5.976 -1.372
Abschreibungen -1.430 -349
Sonstige betriebl. Aufwendungen -34.654 -13.440
Sonstige Zinsen und ähnliche Erträge 33 1
Abschreibungen auf Finanzanlagen und Wertpapier des Umlaufvermögens -149 0
Zinsen und ähnliche Aufwendungen -887 -105
Ergebnis nach Steuern -48.744 -15.394
Jahresfehlbetrag -48.744 -15.394

Quelle: Geschäftsbericht 2021 der Vivid Money GmbH

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Wie sehr ist Vivid Money überhaupt „N26-Herausforderer“?

Aufmerksamen Lesern und Leserinnen dürfte schon mal aufgefallen sein, dass wir Vivid Money ritualisiert als „Neobank“ bezeichnen, ging das Fintech doch einst mit dem klassischem „Konto & Karte“-Geschäft an den Start. Tatsächlich positionierten sich die Berliner rasch breiter, etwa mit Cashback-Programmen, Fremdwährungskonten und der Ankündigung von (zwischenzeitlich auch gelaunchten) Investment-Produkten. So gesehen ähnelt die Strategie von Vivid Money weniger der von N26 – und eher der von breiter aufgestellten Wettbewerbern wie der britischen Revolut und der niederländischen Bunq. Vielleicht ist sogar Trade Republic ein Referenzpunkt. Es geht Vivid jedenfalls nicht unbedingt darum, möglichst viele Kunden zu gewinnen. Sondern möglichst viele Transaktionen je Kunde zu generieren.

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Wie viele Kunden hat Vivid Money?

Seinen Kundenstamm bezifferte Vivid im September 2021 auf „über 100.000“, im Februar 2022 dann schon auf „über 500.000“. Auf Rückfrage zu der Spanne heißt es vom Unternehmen lediglich: „Dass Kundenwachstum unterliegt gewissen Schwankungen, weshalb wir von monatlich- oder gar wöchentlich genauer Zählweise absehen.“

Wobei da die Frage erlaubt ist, wie niedrigschwellig das Fintech denn „Kunden“ definiert. (Wir erinnern uns an die insolvente Krypto-Neobank Nuri, von deren proklamierten 500.000 Kunden noch 200.000 übrig blieben, nachdem der Insolvenzverwalter einmal richtig durchgezählt hatte.) Laut Vivid-Money CEO Alexander Emeshev: „Ein Kunde zählt bei uns als Kunde, sobald er den KYC-Prozess durchlaufen und einen Account eröffnet hat.“ 

Nach seiner Aussage kommen rund 80% der Kunden von klassischen Hausbanken, etwa Volksbanken oder Sparkassen, die bei Vivid ein Zweitkonto eröffnen. Die restlichen 20% entstammen großen Direktbanken oder anderen Neobanken.

Zudem hat sich Vivid als Auffangbecken für die strauchelnde Konkurrenz etabliert – sowohl im Falle von Nuri als im beim ebenfalls in die Insolvenz geschlitterten Altervorsorge-Fintech Vantik bekamen die dort verbliebenen Kunden das Angebot, ihre Konten zu Vivid umzusiedeln. Vivid Money beziffert die Zahl der gewechselten Kunden auf Anfrage auf „mehrere Tausend“, was bei 200.000 Nuri-Kunden und 20.000 Vantik-Kunden (wenn es denn so viele waren) eine Konvertierungsrate von irgendwas zwischen 1% und 5% nahelegt.

Das Kalkül der Berliner: Egal, wo sie ihre Konten haben – ihre Transaktionen (vom simplen Einkaufen über Währungstausch bis hin zum Trading) sollen die Kunden über Vivid Money abwickeln. Das zeigt sich auch daran, dass Vivid bei inaktiven Konten eine Management-Gebühr von 3,90 Euro erhebt. „Aktiv“ ist ein Kunde ab einer Transaktion im Monat oder wahlweise Einlagen von 1000 Euro bzw. einem Gesamt-Investment von 100 Euro.

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Wie viel verdient Vivid Money mit seinen Kunden?

Laut der oben abgebildeten GuV betrugen die Umsatzerlöse der Berliner Vivid Money GmbH rund 3,4 Mio. Euro – nach 1,1 Mio. Euro im Gründungsjahr 2020 (Vivid bilanziert nicht wie eine Bank, unterteilt also nicht in Provisions- und Zinsergebnis, wobei es 2021 ohnehin noch kein Finanzierungsgeschäft gab).

Nun muten 3,4 Mio. Euro Umsatz – gemessen an N26, siehe hier – natürlich erst einmal reichlich bescheiden. an. Allerdings sind die Zahlen zum einen schon ein Jahr alt, während Vivid zum anderen damals ja erst ein Jahr alt war. Relevanter als die absolute Zahl ist daher die relative: Wie viel Umsatz erwirtschaftete Vivid pro Kunde (woraus sich dann ja ungefähr schließen lässt, ob die „Transaktions-Strategie“ fruchtet)?

Zur genauen Kundenzahl (siehe oben) macht Vivid keine konkreten Angaben. Zum Umsatz je Kunde heißt es dafür auf Anfrage: „Gegen Ende des Jahres [2021] steuerten wir, auf 12 Monate hochgerechnet, auf einen mittleren zweistelligen Euro-Betrag pro Kunde zu.“ Das wäre mehr als bei N26, wo es um dieselbe Zeit herum grob 20-25 pro Kunde waren.

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Will Vivid Money eine richtige Bank werden?

Anders als N26 hat Vivid Money keine Vollbank-Lizenz. Das Fintech agiert als bloßer Frontend-Anbieter, die Bankprozesse im Hintergrund werden von der Solarisbank (also von einem „Banking as a Service“-Partner) gestellt. Dass sich Vivid zeitnah um eine eigene Lizenz bemüht, ist unwahrscheinlich, aus drei Gründen:

  1. Eine Vollbank-Lizenz wäre für den Moment vermutlich teurer als die Dienstleistungen erst einmal weiter über die Solarisbank zu beziehen (die Kosten hierfür dürften einen nicht ganzunwesentlichen Teil der „Aufwendungen für bezogene Leistungen“ ausmachen, die 2021 laut GuV rund 6 Mio. Euro ausgemachten),
  2. Der Antragsprozess ist langwierig, zumal, siehe oben, Berlins Fintechs bei der Bafin momentan nicht gut gelitten sind,
  3. Nachdem die Solarisbank im letzten Jahr zwei ihrer wichtigsten Fintech-Kunden verloren hat (nämlich Penta, siehe hier, sowie zumindest teilweise auch Trade Republic), dürfte sich das Standing von Vivid Money zumindest nicht verschlechtert haben.

Jenseits des regulatorischen Aspekts stellt sich die Frage, inwieweit Vivid vom Geschäftsmodell her überhaupt Bank sein will. Während vergleichbare Fintechs zuletzt mit hohen Zinsofferten auffielen (Trade Republic mit 2,0%, die C24 Bank mit 1,75% und Bunq mit 1,3%), hält sich doch Vivid Money am Einlagenmarkt bislang auffällig bedeckt. Klar, gegen lukrative Neukunden würde man sich sicherlich nicht wehren – aber sollen die auch möglichst viele Einlagen mitbringen? Ein Sprecher erklärt: „Wir beobachten den Markt genau, wollen uns aber zeitgleich nicht zu übersprünglichen Marketing-Aktionen hinreißen lassen.“

Ein Hinweis, dass Investment bei Vivid inzwischen stärker im Mittelpunkt stehen könnte als Banking: 2022 bekam das Fintech über eine Tochter eine holländische Investment-Lizenz. Davor hatte das Unternehmen seine Investmentprodukte ausschließlich über die Münchner CM-Equity laufen lassen (siehe hier).

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Warum kam Vivid Money 2022 ohne Stellenabbau aus?

Upps – kam Vivid nicht. Es wurde nur nicht groß kommuniziert und ist offenbar auch keinem aufgefallen.

Also: Bei Linkedin zählte Vivid Money per letzten März 348 Beschäftigte (was eine einigermaßen plausible Zahl ist gemessen daran, dass es zum Jahresende 2021 laut den Unternehmensmitteilungen noch rund 300 waren) – per Ende 2022 outeten sich auf dem Karriere-Netzwerk allerdings nur noch rund 200 Menschen als Vivid-Mitarbeiter. Zwar vollzog sich der Rückgang schrittweise, es gab also offenbar nicht die eine große Kündigungswelle. Allerdings: Im Ergebnis dürfte die Belegschaft um mehr als 40% gesunken sein, was den Effekt der großen Entlassungswellen bei anderen Fintechs sogar übertrifft.

Als Gründe für den Personalabbau nennt CEO Emeshev auf Anfrage: Man habe durch den neuen Fokus (sprich Profitabilität und die Investment-Produkte) einige Projekte nicht weiterverfolgt, die dafür eingestellten Mitarbeiter hätten es dann teilweise vorgezogen, das Unternehmen zu verlassen. Zudem hat Vivid nach Ausbruch des Ukraine-Krieges seinen Tech-Hub in Russland geschlossen, wo knapp 200 Beschäftige saßen (siehe dazu die Berichterstattung von Finance Forward) – nur ein Teil der Beschäftigten dort habe das Angebot, an den neuen Standort in Kasachstan oder nach Deutschland umzusiedeln, angenommen.

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Wie will Vivid Money profitabel werden?

Während sich die schmalen Umsätze von 3,4 Mio. Euro damit erklären lassen, dass Vivid Money sich 2021 noch in einer frühen Phasen befand, erstaunt die Relation zu den Kosten und zum Fehlbetrag dann doch

Vivids Cashburn von fast 49 Mio. Euro verweist auf ein, nun ja, selbstbewusstes Ambitionsniveau. Und die sonstigen betriebliche Aufwendungen (also die größte Kostenposition) von fast 35 Mio. Euro sind wirklich enorm. Laut Vivid fallen darunter zum einen die Kosten für die europäische Expansion, zudem Marketing-Kosten, ein Teil der Solaris-Kosten – eine genauere Aufschlüsselung gibt es aber nicht (da die Personalaufwendungen mit 6 Mio. Euro eher schmal ausfallen, vermuten wir, dass sich in den sonstigen betrieblichen Aufwendungen indirekt auch Personalkosten verstecken – nämlich für Mitarbeiter, die bei anderen Vivid-Gesellschaften angestellt sind und die der Berliner GmbH dann in Rechnung gestellt werden.)

Zum Vergleich: Die schon erwähnte niederländische Neobank Bunq (die zugegebenermaßen schon seit 2012 am Markt ist) erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2020 Provisionserträge (18,5 Mio. Euro), die fast die gesamten Verwaltungsaufwendungen (19,0 Mio. Euro) deckten.

Vermutlich wird sich die Kluft zwischen Einnahmen und Ausgaben im Geschäftsjahr 2022 ein wenig geschlossen haben. Um wie viel allerdings, dazu gibt es dazu aus dem Fintech keinerlei quantitative Indikationen.

Die Frage also lautet: Wie und bis wann soll hieraus ein profitables Geschäftsmodell werden? Ertragsseitig nennt CEO Emeshev drei Ziele:

  • Ausbau der Investment-Features
  • Erweiterung der Portfolios um Kreditprodukte
  • Ausbau des Freelancer-Angebots Vivid Business

„Operativ profitabel“ will man „bis Ende 2023“ werden. Damit freilich ist nur gemeint, dass die Erträge alle Kosten außer den Marketing-Kosten decken sollen. Und auch das erst einmal nur auf Monatsbasis, noch nicht bezogen aufs gesamte Geschäftsjahr 2023. Der Cashburn geht erst einmal weiter.

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Wie lange wird das Funding noch reichen?

2021 sammelte Vivid Money 60 Mio. Euro von den US-Investoren Greenoaks Capital und Ribbit Capital ein. Anfang 2022 wurde dann ein Funding über 100 Mio. Euro kommuniziert. Dass der Kapitalrücklage der deutschen GmbH (siehe weiter unten) im Geschäftsjahr 2021 mit rund 70 Mio. aufgefüllt wurde (und nicht mit 60 Mio. Euro), liegt daran, dass das Geld der Investoren nicht direkt dorthin fließt, sondern an eine irische Holding. Hintergrund: Vivid Money war bei seiner Gründung 2020 Teil einer zypriotischen Holding namens Incantus, die mittlerweile aber als Vivid Money Limited nach Irland verlegt wurde. Von dort würden, so erklärt der Vivid-Money-Sprecher, „benötigte Mittel in die jeweiligen Standorte fließen“, also auch nach Berlin.

Das buchmäßige Eigenkapital der Berliner GmbH schrumpfte per Jahresende 2021 auf nur noch 7,8 Mio. Euro – allerdings wurde kurz darauf ja das 100-Mio.-Euro-Funding kommuniziert. Nach Aussage Emeshevs sind drei Viertel davon noch übrig, sprich rund 75 Mio. Euro. Das hieße (die Zahlen der übrigen Vivid-Gesellschaften kennen wir ja nicht, darum ist die Aussage unter Vorbehalt …), dass Vivid Money seinen Cashburn 2022 deutlich reduziert hätte.

Eigenkapital in der Bilanz der Vivid Money GmbH Dezember 2021:

2021 2020
Gezeichnetes Kapital 25 Tsd. 25 Tsd.
Kapitalrücklage 71,9 1,7
Verlustvortrag -15,4 0
Jahresfehlbetrag -48,7 -15,4
nicht gedeckter Fehlbetrag 0 13,6
Buchmäßiges Eigenkapital 7,8 0

Quelle: Geschäftsbericht 2021

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