Partner-Blog

Worldcoin – eine weitere Krypto-Währung oder der heilige Gral der Authentifizierung?

Worldcoin – die Neuentwicklung des Unternehmens „Tools for Humanity“, zu dessen Gründern auch Sam Altman zählt, der Kopf hinter OpenAI und ChatGPT – ist in aller Munde, seit sie Ende Juli offiziell an den Start ging. Handelt es sich dabei nur um eine weitere Krypto-Währung oder um etwas neues, disruptives? Etwas, das zusammen mit einer World ID und der World App, einem zentralen Ort zur Aufbewahrung von Worldcoin und World ID, womöglich ein Triumvirat bildet, das bald unsere Geschäftsprozesse sowie alle anderen Aspekte unseres Alltags beeinflussen wird, so wie es Künstliche Intelligenz (KI) und ihre produktgewordenen Ableger aktuell bereits tun?

Zunächst ein paar Takte, worum es überhaupt geht: Mit der rapiden Zunahme von KI-generierten Inhalten, lässt sich immer schwerer unterscheiden, wer Mensch, wer Maschine ist – und ob zum Beispiel dieser Beitrag von einem menschlichen Geschöpf oder einem sprachbasierten KI-Modell erstellt wurde. Das kann sich schnell zu einem ziemlich großen Problem entwickeln, zum Beispiel wenn Nutzer vor lauter echt wirkenden Spam-Nachrichten nicht mehr wissen, wem oder was sie ihre Aufmerksamkeit schenken sollen. Spätestens beim Online-Dating will jeder ja doch sicher sein, dass er mit einem menschlichen Gegenüber interagiert. Tools for Humanity verspricht nun Abhilfe. Seine World ID ist ein digitaler Identitätsnachweis, der mich als einzigartigen Menschen identifiziert und legitimiert. Auf eine Weise bietet Sam Altman uns damit eine Lösung für Probleme an, die er, OpenAI und andere Pioniere mit der massiven Evolution der KI in den vergangenen Jahren geschaffen haben.

Wie das geht? Durch einen biometrischen Scan meiner Iris an einem von aktuell rund 100 physischen Standorten weltweit und einer Prüfung auf der Blockchain, ob diese Iris bereits für eine andere World ID verwendet wurde. Langfristiges Ziel ist, nahezu jeden Erdenbürger mit einer solchen World ID auszustatten. Tools for Humanity sieht in ihr eine Art Personalausweis (respektive einen Pass für Menschen, die bislang keinen Pass besitzen) – und damit die Chance auf die uneingeschränkte Teilnahme an der digitalen Wirtschaft und den frei zugänglichen Finanzmärkten, unabhängig von der Herkunft. Chancengleichheit durch Dezentralität, das ist die Idee. Bisher haben sich in 34 Ländern rund 2,3 Millionen Menschen per Scan registriert. Mehr als zwei Millionen waren es schon in der Beta-Phase vor dem offiziellen Start, derzeit kommen pro Woche etwa 40.000 Menschen hinzu.

Ergänzt durch das passende universelle Zahlungsmittel Worldcoin und die World App, in der alles hinterlegt ist, verspricht dieser Ansatz die Neuerfindung des Portemonnaies inklusive Inhalt. Was uns zum wichtigsten Punkt führt, denn als auf Payments spezialisierter Dienstleister interessieren wir uns insbesondere dafür, was diese drei komplementären Produkte für die Payment-Branche bedeuten. Was bietet dieses Paket an Chancen, was an Herausforderungen und Risiken?

Weil es sich bewährt hat, nehmen wir für eine Antwort drei Blickwinkel ein: die von Kunden, Händlern und Payment-Providern.

Für Kunden könnte eine globale digitale Identität vieles erleichtern

Aus Sicht der Kunden stechen zwei klare Vorteile heraus, wenn es um Payments geht – wobei einer nur indirekt eintritt.

Jeder Vorgang, bei dem ich mich autorisieren kann und muss, profitiert enorm, denn dieser wird mit einer World ID deutlich einfacher und bequemer. Einen Know-Your-Customer-Prozess zu durchlaufen, ohne mit den netten Kollegen von PostIdent telefonieren oder sogar in einer Filiale vorbeischauen zu müssen, um „mich als mich“ zu autorisieren – das hat schon seinen Reiz. Theoretisch kann ich das heutzutage auch schon durch die Online-Funktion meines Personalausweises (respektive Reisepasses) erledigen. Praktisch wissen wir aber alle, wie gut und häufig eine solche Funktion genutzt werden kann. Mit der World ID reicht ein Scan meiner Iris an einem “Orb“ (so nennen sich die Iris-Scanner, die Tools for Humanity bereits an verschiedenen Standorten betreibt), um zu bestätigen, dass ich tatsächlich auch „ich“ bin. Und das gilt sowohl für die reale als auch für die digitale Welt.

Hier liegt der zweite Vorteil – Stichwort „Strong Customer Authentication“. Eigentlich hat sich diese schon breit und bequem in der Praxis etabliert. In letzter Zeit ist aber doch zu merken, dass die Authentifizierung manchmal überhandnimmt. Vor allem wenn mehrere Anbieter die Bestätigung wollen, weil ich gerade schon wieder bei Lieferando bestelle. Will ich dann zum Beispiel via Paypal mit einer American Express bezahlen, gebe ich erst mein Paypal-Passwort an und bekomme dann von Paypal einen Sicherheitscode als zweiten Faktor zugeschickt. Bei Amex das gleiche Spiel: SafeKey-Bestätigungscode zuschicken lassen, eingeben, und immer schön zwischen App und Nachrichten-Inbox hin- und herspringen. Eine „unabhängige Instanz“, die Kunden einmalig und einheitlich authentifiziert, könnte viele Schritte bis zur erfolgreichen Bestellung ersparen.

Heißt zusammengefasst: Die World ID als eine weitere Art der biometrischen Authentifizierung bietet grundsätzlich zwar nicht mehr Sicherheit oder Convenience als Face ID oder ein Fingerabdruck-Scan – das Potenzial liegt allerdings in der Anbieter übergreifenden Interoperabilität und der allgemeinen Akzeptanz der Authentifizierung.

Händler brauchen Masse – die Worldcoin bisher noch fehlt

Der Handel ist glücklich, wenn der Kunde (oder die Kundin) glücklich ist. Und so ist auch hier Convenience das richtige Stichwort. Ein einheitlicher und gebündelter Prozess der Authentifizierung, der schnell und sicher abläuft, ist ein klarer Vorteil gegenüber Mitbewerbern. Oder er wird irgendwann zur Voraussetzung, um überhaupt mit dem Wettbewerb mithalten zu können.

Fast so wichtig wie Convenience ist Relevanz. Der Handel folgt den Kundenwünschen. Sofern keiner die neue Art der Authentifizierung vermisst, wird auch kein Händler diese ins Portfolio aufnehmen. Nötig ist somit ein Netzwerkeffekt, der bisher – wenn er ausblieb – zum Beispiel Visa, Mastercard und Paypal schon viele Konkurrenten vom Leibe gehalten hat und neben der Regulatorik sicher die größte Einstiegshürde für einen neuen Akteur ist.

Nun, wie versucht Worldcoin diese Hürde zu meistern? Indem die Macher Tokens ihrer eigenen Krypto-Währung im Tausch gegen eine Verifizierung ausgeben. Anfangs lockten sie Interessierte mit Tokens im Gegenwert von rund 50€, aktuell ist es eher die Hälfte. Mehr als 2,3 Millionen Registrierte bisher sind ein Wort, zudem sollen bis Ende des Jahres rund 1500 Orbs weltweit für Scans bereit stehen und so für Tempo sorgen, doch wie nachhaltig die Registrierungen sind, und wie viele der Registrierten die World ID dann auch aktiv nutzen – das ist eine andere Geschichte.

Payment-Anbieter werden interessiert abwarten, wer sich traut

Es wird sicher einige Anbieter geben, die eine Authentifizierung durch die World ID als Teil der Strong Customer Authentication akzeptieren, sofern die regulatorischen Vorgaben dafür erfüllt sind. Der KYC-Prozess erfolgt bekanntlich nicht nur zur Einhaltung der Richtlinien im Kampf gegen Geldwäsche, sondern auch zum Selbstschutz der Anbieter vor möglichem Betrug. Allerdings könnten etliche Anbieter – Kosteneffizienz hin, Convenience her – die Entwicklung, vor allem das Auftreten von Betrugsfällen oder Identitätsdiebstählen, gespannt von der Seitenlinie aus beobachten.

Vor allem den Neobanken und weiteren digitalaffinen Fintechs ist es zuzutrauen, dass sie den ersten Schritt gehen werden. Wer ihnen folgt, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall wird es zwingend notwendig sein, dass schnell viele Integratoren gefunden werden. Sonst ergibt sich wieder das Problem der fehlenden Akzeptanz, das im Bereich Payments schon so häufig zu beobachten war. Ist einmal ein gewisses Netzwerk der Akzeptanz gegeben, würde sich der größte Nutzen durch die gesteigerte Convenience ergeben, den ein zentraler Beweis der persönlichen Identität mit sich bringen würde.

Bleibt die Frage: Für welchen Preis?

Staatliche Stellen betrachten das Projekt bisher mit Skepsis

Noch einmal: Um mich und meine World ID zu verifizieren, wird ein biometrischer Scan meiner Iris angefertigt. Gespeichert dezentral in der Blockchain des eigens entwickelten Worldcoin-Protokolls. Würde sich World ID durchsetzen, wäre das Resultat ein globales Identitätsregister in privater Hand. Geheimdienste und andere Interessensgruppen rund um den Globus reiben sich sicher schon die Hände bei der Vorstellung, dass ihnen die biometrischen Daten von Millionen Menschen eventuell auf dem Silbertablett serviert werden könnten. Und auch wenn die Blockchain-Technologie grundsätzlich als sicher angesehen wird: Der Datenschutz ist bestimmt eines der kniffligsten und wichtigsten Themen, das gerade seitens Tools for Humanity diskutiert wird.

Wie kann das Unternehmen – das neben der Zentrale in San Francisco auch eine Dependance in Erlangen hat – der Kundschaft, vor allem aber auch den Regulierungsbehörden glaubhaft vermitteln, dass die gefährliche Kombination aus Identitätseigentum und Datenpunkten zum Bezahlverhalten mit der notwendigen Sicherheit geschützt ist? Wer die aktuellen News rund um Worldcoin verfolgt, sieht, dass zum Beispiel bereits die BaFin und das (wegen Erlangen zuständige) bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht gerade sehr genau hinschauen, wie die biometrischen Daten der Bürger gespeichert und weiterverarbeitet werden. Und Kenias Regierung hat Worldcoin fürs Erste alle Aktivitäten untersagt. Die Unsicherheiten sind vielerorts zurzeit noch groß.

Transparenz zu schaffen, mit den Behörden zusammenzuarbeiten und gegebenenfalls notwendige Lizenzen zu erlangen, wird zwingend notwendig sein, will Tools for Humanity das notwendige Vertrauen aufbauen – und so auch die breite Masse von der neuen Technologie und ihren Vorzügen überzeugen.

–––––––––––––––––––

*Til Steng ist Senior Consultant bei OSTHAVEN, einer auf die Payment-Industrie spezialisierten Unternehmensberatung. OSTHAVEN gehört zu den Premium-Partnern von Finanz-Szene.de. Mehr zu unserem Partner-Modell erfahren Sie hier.

Rechtehinweis

Die Artikel von Finanz-Szene sind urheberrechtlich geschützt und nur für den jeweiligen Premium-Abonnenten persönlich bestimmt. Die Weitergabe – auch an Kollegen – ist nicht gestattet. Wie Sie Inhalte rechtssicher teilen können (z.B. via Pressespiegel), erfahren Sie hier.

Danke für Ihr Verständnis. Durch Ihr Abonnement sichern Sie ein Stück Journalismus!

To top