von Heinz-Roger Dohms, 22. Januar 2025
Wäre Finanz-Szene kein Newsletter, sondern ein Bilderbuch, dann würden wir das Bankhaus Metzler wie folgt zeichnen: Oben das typische Symbol eines Geldinstituts (drei Stufen, vier Säulen, ein Dach). Darunter ein riesiger Keller. Und in dem Keller – ganz, ganz, ganz viele kleine Goldbarren, auf denen in feinster Gravurschrift „Kernkapital“ stünde. Denn genau das ist ja das Bild, das man sich vom Bankhaus Metzler macht: Die ehrenwerten Frankfurter Privatbankiers, die sich von ihrem rechtschaffen verdienten Geld, im Gegensatz beispielsweise zu den dauerausschüttenden Prassbrüdern von Berenberg, jedes Jahr nur ein ganz, ganz, ganz dünnes Scheibchen Dividende abschneiden, weil der Rest, und das seit nunmehr 350 Jahren, jawohl – in den Keller gehört!
Was an diesem Bild nun richtig ist: Ja, den Keller gibt es! Und ja, er ist zum Bersten voll! 284 Mio. Euro hartes Kernkapital*, die CET1-Quote bei 27%, gemessen an einer regulatorischen Anforderung ans Gesamtkapital von 10%. Der Keller also grob dreimal so voll, wie er es sein müsste, eigentlich ein einziger Frevel (nicht wahr, lieber Herr Riehmer?). Weil die Welt der Metzlers nun aber mal so ist, wie sie ist, hat Herr Wiesheu, also der Chef von Metzler, bei der Bilanz-PK letztes Jahr erzählt, dass man auch 2023 wieder stolze 20 Mio. Euro in den Keller gekarrt habe.
Und damit nun zu einer Frage, der wir eigentlich schon seit Monaten nachgehen wollten und wofür wir jetzt (dank unserer Erscheinungspause zwischen den Jahren) auch endlich die Zeit gefunden haben: Wo kommen diese 20 Mio. Euro eigentlich her??? Logischerweise: Aus dem Haus mit den drei Stufen, den vier Säulen und dem Dach. Oder etwa nicht? Mmmhhh!
Lesen Sie heute unsere Tiefen-Analyse der Metzler-Geschäftsberichte der letzten anderthalb Dekaden. Nicht in Bildern. Sondern in Zahlen.
Bitte sehr:
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Metzlers fette Jahre waren die Geschäftsjahre 2010-2016 – also die erste Hälfte der von uns untersuchten Zeitspanne …
… In jener Periode gelang es der Bank, die umständehalber leicht schrumpfenden Zinsergebnisse durch ein deutlich und teilweise sogar dramatisch steigendes Provisionsgeschäft überzukompensieren. Besonders augenfällig ist der steile Anstieg des Provisionsüberschusses im Jahr 2015. Damals befand sich Metzler auf Expansionskurs, so fällt unter anderem die Gründung des neuen Geschäftsfelds „Capital Markets“ (hervorgegangen aus der Zusammenlegung von „Equities“ und „Financial Markets“) in jene Zeit.
Zwar zog in Metzlers sieben fetten Jahren auch der Aufwand an – aber nicht so, dass die Ertragssteigerungen dies nicht gerechtfertigt hätten. Die Folge: Abgesehen vom Geschäftsjahr 2014 (als sich Investitionen unter anderem in neue Mitarbeiter bereits in den Kosten, aber noch nicht vollumfänglich in den Erträgen spiegelten), erwirtschaftete Metzler in der Periode 2009-2016 ein „Ergebnis vor Bewertung“ in stets zweistelliger Millionenhöhe. Alles in allem summierten sich die Ergebnisse jener Jahre auf überaus auskömmliche 144 Mio. Euro – und das mit einem allem Anschein nach stockkonservativen Geschäftsmodell und ohne irgendwelche Sondereffekte (man achte auf das Handelsergebnis und das sonstige Ergebnis, die beide keinerlei größeren Auffälligkeiten zeigen).
Ein Spiegel dieser überragenden operativen Perfomance: Die „Total Assets“, also die Kundengelder, schossen in jenen Jahren von 41 Mrd. auf 74 Mrd. Euro in die Höhe …
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In den fetten Jahren, so scheint es, war das Bankhaus Metzler vom Schicksal regelrecht geküsst – auch in nicht-operativer Hinsicht. So brauchte das Institut von 2011 bis 2014 trotz der durchweg üppigen Gewinne nicht einen Euro an Steuern auf Einkommen und Erträge zu zahlen, wie unsere Bilanzauswertungen zeigen. Im Gegenteil: Metzler flossen in den vier genannten Jahren (also 2011-2014) saldiert sogar 15 Mio. Euro vom Fiskus zu, ein Umstand, den die Abschlüsse mit einem "erfolgreichen Einspruchsverfahren für das Jahr 2001" begründen (keine Ahnung, was damals war).
Da das Bankhaus Metzler auch in den fetten Jahren nie mehr als die auch heute noch üblichen gut 2 Mio. Euro p.a. jährlich an die Metzler-Familie ausschüttete, ergab sich eine Konstellation, in der zwar jahrelang wahnsinnig viel Geld in die Bank hineinfloss – aber kaum mal welches hinaus, weder an die Familien noch an den Fiskus (sieht man mal ab von den in den Geschäftsjahren 2010, 2015 und 2016 gezahlten Steuern, die aber alles in allem nur um 10 Mio. Euro über das hinausgingen, was Metzler von 2011-2014 saldiert vom Fiskus kassiert hatte).
Entsprechend standen der Bank erhebliche Mittel zur Kapitalbildung, also zum Auffüllen des Kellers, zur Verfügung – was sich entsprechend in der Entwicklung der Eigenkapitals zeigt, das in den fetten Jahren um mehr als 100 Mio. Euro anwuchs (wir vermuten, dass sich die starke operative Entwicklung bis 2016 auch noch in der Kapitalbildung des Geschäftsjahres 2017 niederschlägt und haben unseren Betrachtungszeitraum deshalb an dieser Stelle um ein Jahr verlängert).
Überträgt man die obige Betrachtung auf die Periode 2017-2023, dann zeigt sich, dass das Ergebnisniveau in den letzten Jahren erheblich gelitten hat. Summierten sich das Ergebnis vor Bewertung in den Jahren 2010-2016 noch (siehe oben) auf 144 Mio. Euro, so waren es in den sieben Jahren seither nur noch kumuliert 44 Mio. Euro, also nicht mal mehr ein Drittel ...
... Nun mag man argumentieren, dass eine extrem langfristig orientierte, im Familienbesitz befindliche Bank nicht zwingend auf Ergebnisoptimierung angewiesen ist – zumal, so jedenfalls lesen sich die Bilanzen, das Bankhaus Metzler weiterhin konservativ unterwegs ist, also nicht, wie manche Wettbewerber, der Versuchung erliegt, die Erträge künstlich aufzublähen. Andererseits: Eine wirkliche Verzinsung des eingesetzten (und, siehe oben, sehr üppigen) Eigenkapitals hat Metzler in den letzten Jahren nicht mehr zustande gebracht. Und ebenfalls zur Wahrheit gehört: Die beiden jüngsten öffentlich nachvollziehbaren Geschäftsjahre, also 2022 und 2023, wurden wesentlich von der Zinswende gerettet (von der das Traditionshaus zugleich viel weniger stark profitiert als beispielsweise Hauck oder Berenberg, siehe unsere entsprechende Analyse kürzlich).
Provokativ gesagt: Mit dem Zinsergebnis von 2021 hätte Metzler im Geschäftsjahr 2023 theoretisch einen Verlust erlitten.
Was das provisionstragende Geschäft angeht, scheinen die beiden wichtigsten KPIs, nämlich der Provisionsüberschuss und die "Total Assets", ihren Peak einstweilen überschritten zu haben. Das Provisionsergebnis erreichte seinen vorläufigen Höhepunkt im Jahr 2018 und blieb 2023 Jahr um 8% hinter dem damaligem Wert zurück; den bislang höchsten "Total Assets"-Wert wiederum spuckt der 2019er-Geschäftsbericht mit 86 Mrd. Euro aus – hier ging es seitdem sogar um 19% (!) runter.
Wie die Zinswende die Welt der klassischen Privatbanken umwälzt (Teil #1)
Gewinn hat Metzler in den letzten Jahren zwar nur noch wenig gemacht – das Gold im Keller allerdings wird trotzdem immer mehr. Zwar nicht in Form von Eigenkapital im engeren bilanziellen Sinne (dieser Wert pendelt seit 2017 um die 200 Mio. Euro). Wohl aber in Form sogenannter Rücklagen im Fonds für allgemeine Bankrisiken, auch 340g-Reserven genannt. Auch bei diesen Rücklagen handelt es sich um Eigenkapital, sogar um hartes Kernkapital. Echte Goldbarren also.
Allein in den vier Jahren bis 2023 hat das Bankhaus Metzler seine 340g-Reserven gleich dreimal gefüllt, nämlich 2020 mit zunächst 20 Mio. Euro, 2022 dann mit weiteren 10 Mio. Euro und im letzten Jahr schließlich – wie oben schon erwähnt – nochmals mit 20 Mio. Euro. Macht 50 Mio. Euro in vier Jahren.
Das heißt (siehe die Tabelle weiter oben unter "Punkt 3"): Die Ergebnisse vor Bewertung kumulieren sich für die Geschäftsjahre 2020 bis 2023 gerade mal auf 26 Mio. Euro – im gleichen Zeitraum hat Metzler aber 50 Mio. Euro an Reserven gebildet. Wie ist das möglich?
Unter "Punkt 3" haben wir abgebildet, was in der Metzler-GuV bis zum Ergebnis vor Bewertung passiert – jetzt schauen wir, was ab dem Ergebnis vor Bewertung passiert.
Nämlich, bezogen auf 2020-2023, das hier:
Zur Erläuterung: Metzler weist die Einstellungen in den Fonds für allgemeine Bankrisiken zwar unter den "Passiva" in der Bilanz aus, nicht aber explizit in der GuV. Dort werden die 340g-Reserven stattdessen im Bewertungsergebnis subsumiert – eine Bilanzposition, die darüber hinaus auch die Kreditrisikovorsorge und das Ergebnis der Eigenanlagen (bzw. der "Wertpapierbestände der Liquiditätsreserve") enthält. Das heißt: Exemplarisch bezogen auf das Geschäftsjahr 2021 sieht man zwar, dass das Bewertungsergebnis in jenem Jahr minus 15 Mio. Euro betrug. Man sieht aber nicht, was davon "340g" ist und was davon beispielsweise Kreditrisikovorsorge.
Was nun auffällt, Vorsicht, jetzt wird's für einen Moment kompliziert:
Obwohl Metzler von 2020-2023 wie gesagt kumuliert 50 Mio. Euro an 340g-Reserven gebildet hat, das "340g-Ergebnis" (wenn es diesen Begriff denn gibt) also gewissermaßen minus 50 Mio. Euro betrug (diese Berechnung, wie gesagt, ergibt sich aus der Passivseite der Bilanz), lag das Bewertungsergebnis insgesamt im gleichen Zeitraum bei kumuliert lediglich minus 17 Mio. Euro. Sprich – das "übrige Bewertungsergebnis" (also das Bewertungsergebnis bereinigt um die gebildeten 340g-Rückstellungen) muss bei kumuliert plus 33 Mio. Euro gelegen haben.
Um die eingangs gewählte Metapher noch einmal zu bemühen:
Das erstaunt!
Und es ist ein Rätsel, das sich so leicht nicht lösen lässt. Denn:
Aber was dann?
Tatsächlich gibt es noch eine andere mögliche Erklärung, woher die 33 Mio. Euro stammen könnten. Denn: Das Bewertungsergebnis enthält neben den drei schon genannten Positionen, also neben ...
... noch eine vierte Position, und zwar die Veränderung der 340f-Reserve. Diese unterscheidet sich von der 340g-Reserve vor alle durch zwei abweichende Charakteristika:
Tatsächlich scheinen stille Reserven beim Bankhaus Metzler eine überragende Rolle zu spielen. So zeigen Formulierungen in den Konzernabschlüssen von 2010-2016, ...
..., dass der 340f-Reserve in jedem einzelnen der sieben fetten Jahre frische Mittel zugeführt wurden.
Dazu muss man nun klarstellen: Diese Mittel fließen nicht ins ausgewiesene Eigenkapital bzw. auch nicht ins harte Kernkapital), also nicht in die eingangs erwähnten 284 Mio. Euro. Das heißt: Obwohl das Bankhaus Metzler, siehe "Punkt 4", sein Eigenkapital von 2010-2017 um mehr als 100 Mio. Euro aufstockte, war zumindest von 2010-2016 obendrein genügend Firepower vorhanden, obendrein sogar noch weitere Reserven zu bilden, nämlich 340f-Reserven.
Sprich: Metzler hat also nicht nur einen Keller, also jenen Keller, in dem – metaphorisch gesprochen – derart viele Goldbarren liegen, dass die CET1-Quote bei herausragend üppigen 27% liegt. Sondern, daneben muss es einen weiteren Keller geben, in dem noch ganz, ganz viele weitere Goldbarren liegen. Wie groß dieser zweite Keller ist, lässt sich von außen nicht ermessen. Ganz klein aber scheint auch er nicht zu sein. Der jüngste Geschäftsbericht spricht von "erheblichen stillen versteuerten Vorsorgereserven nach § 340f HGB", auf deren Zurechnung zum aufsichtsrechtlichen Eigenkapital "weiterhin vollständig verzichtet" werde.
Frage: Handelt es sich bei den unter "Punkt 5" aufgespürten 33 Mio. Euro zumindest partiell um 340f-Reserven, die aufgelöst wurden, um sie (nachdem man sie einmal durch die GuV laufen ließ) sodann in die 340g-Reserven einzustellen? Wurden also Goldbarren aus dem einen Keller hoch in das Säulenhaus und von dort dann runter in den anderen Keller gekarrt? Ehrenrührig, das sei klargestellt, wäre das nicht. Aber: Es wäre interessant zu wissen!
Wir haben das Bankhaus Metzler darum (siehe Punkt 9) mit dieser Hypothese konfrontiert. Inhaltlich auf unsere Fragen eingehen wollte man allerdings nicht.
Was so oder so auffällt: Während in den sieben fetten Jahren (also von 2010 bis 2016) stets von einer "Zuführung" zu den Reserven nach §340f HGB die Rede war, ist das Wording in den sieben dürren Jahren ein anderes. Lediglich von "Dotierungen" bzw. "Veränderungen" liest man nun ...
... Unser Eindruck: Reingepackt wurde in den letzten Jahren nichts mehr in den zweiten Keller. Ob "Veränderung" bedeutet, dass stattdessen Kapital entnommen wurde – diese Frage muss offen bleiben.
Jedes Jahr nur ein ganz, ganz, ganz dünnes Scheibchen – so hält es Metzler mit der Dividende. Doch während diese Dividendenpolitik in den fetten Jahren einer bemerkenswerten Selbstbescheidung (siehe Punkt 1) geschuldet war, scheinen die sieben dürren Jahre (siehe Punkt 3) so viel mehr gar nicht hergegeben zu haben. Wie es Metzler dann allein im vergangenen Jahr möglich war, weitere 20 Mio. Euro an Reserven zu bilden, das bleibt ein Rätsel. Im engeren Sinne operativ erwirtschaftet wurde dieses Geld jedenfalls nicht. Es stammt entweder aus aufgelöster Risikovorsorge oder Wertzuwächse bei den Eigeneinlagen – oder eben aus dem zweiten Keller.
Wir haben das Bankhaus Metzler wie folgt mit unserer Recherche konfrontiert:
Das Bankhaus Metzler antwortete uns wie folgt:
"Vielen Dank nochmals für Ihre Nachfrage, die uns zeigt, dass Sie sich sehr intensiv mit unseren Geschäftszahlen auseinandergesetzt haben. Darüber hinaus nochmals die Erläuterung, dass der Saldo der Risikovorsorge (GuV-Positionen 13, 14) für einen Außenstehenden nicht zu analysieren ist. Wie bereits ausgeführt enthält dieser verschiedene Ergebniskomponenten und wurde seitens des Gesetzgebers bewusst als Saldo konzipiert, um Banken die Gelegenheit zu geben, stille Reserven zu legen, ohne dass dies für Dritte nachvollziehbar ist. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir nicht weiter ins Detail gehen."
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