Rückblick (#12)

Dezember 2022: Bafin schaltet in Alarm-Modus und befragt 1.500 hiesige Banken zu Zinsrisiken

In unserem Jahresrückblick zeigen wir, welche Themen Sie 2022 besonders interessiert haben – mit zwölf Klickfavoriten aus zwölf Monaten. 

Heute mit Teil zwölf:  

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Welchen Unterschied einige wenige Wochen ausmachen: Im Oktober noch zeigte man sich in Aufseherkreisen recht gelassen, was die Belastungen deutscher Banken infolge der Zinswende angeht. Tenor: Mit den eben erst präsentierten Ergebnissen des Stresstests bei kleinen und mittelgroßen Instituten (siehe hier) hätten Bafin und Bundesbank zurzeit genügend Daten, um die Folgen der neuen Zinslage abschätzen zu können.

Das gilt nun nicht mehr: Laut exklusiven Informationen von Finanz-Szene vollzieht die deutsche Finanzaufsicht einen regelrechten U-Turn. So haben Bafin und Bundesbank vergangene Woche eine Umfrage unter sämtlichen nach HGB bilanzierenden Banken und Sparkassen hierzulande initiiert. Zweck der Übung: Die Aufseher wollen das Ausmaß der vom Zinsschock verursachten Verheerungen in den Bilanzen eruieren. Betroffen sind schätzungsweise rund 1.500 Institute. Ausgenommen von der Erhebung wurden lediglich die nach IFRS bilanzierenden Häuser, also vor allem die von der EZB direkt überwachten Großbanken.

Ein Bafin-Sprecher bestätigte auf Anfrage, dass man gemeinsam mit der Bundesbank „eine Umfrage“ unter den nach HGB bilanzierenden Banken und Sparkassen gestartet habe. Näher wollten sich die beiden Aufsichtsbehörden nicht äußern.

Bafin und Bundesbank: Informationen liegen “nicht in ausreichender Form vor”

In einem Finanz-Szene vorliegenden Schreiben an Banken und Sparkassen begründen Bafin und Bundesbank ihr „institutsübergreifendes Auskunftersuchen“ wie folgt:

„Die Bankenaufsicht muss sich aufgrund der ihr obliegenden Aufgaben ein detailliertes Bild über die Situation verschaffen, um bankaufsichtlichen Handlungsbedarf frühzeitig erkennen zu können. Die benötigten Informationen liegen in den verfügbaren Datenquellen nicht in ausreichender Form vor.“

Eigentlich sind solche Ad-hoc-Umfragen bei Banken verpönt, denn sie bedeuten einen hohen Extra-Aufwand auf allen Seiten. Dass die Finanzaufseher kurz vor Weihnachten nun trotzdem nach aktuellen Daten fragen, zeigt, wie viel Druck im Kessel herrscht. Der wesentliche Grund für den Sinneswandel: Die Zahlen, aufgrund derer Bafin und Bundesbank Ende September noch Gelassenheit demonstriert hatten (Bafin-Exekutivdirektor Raimund Röseler seinerzeit: „Der LSI-Stresstest 2022 hat gezeigt, dass die vergangenen und aktuellen Krisensituationen die Banken fordern, aber nach aktuellem Stand beherrschbar sind“) datierten auf Szenario-Berechnungen von Bilanzdaten zum Jahreswechsel. Inzwischen aber leben alle Beteiligten in einer anderen Welt.

Für Bafin-Chef Mark Branson, der im August vergangenen Jahres angetreten war, um nach dem Wirecard-Skandal einen deutlich strikteren Kurs zu etablieren, ist die Bewältigung der Zinswende die erste große Bewährungsprobe seiner Amtszeit.

Banken müssen sich bis 13. Januar zu „Drohverlust-Rückstellung“ äußern

Wie sehr sich die Lage verschärft hat, deutete sich Ende November bereits bei der Vorlage des Finanzstabilitäts-Berichts an. Daraus ging hervor, dass bei Sparkassen und Genobanken allein im ersten Halbjahr sage und schreibe 21,8 Mrd. Euro an stillen Reserven verdampft sind. Die Bundesbank stellte in ihrem Bericht nüchtern fest: „Den Banken stehen damit im Aggregat vorerst keine stillen Reserven mehr zur Verfügung, weshalb weitere Wertverluste unmittelbar zu entsprechenden Abschreibungen und Verlusten führen würden.“ Zugleich mussten Sparkassen und Genossen dem Bericht zufolge auf ihre Wertpapierbestände 12,3 Mrd. Euro abschreiben, mithin 5,6% ihres harten Kernkapitals

Parallel berichtete Finanz-Szene seinerzeit, dass in zumindest einem Sparkassen-Regionalverband die sogenannte Warnampel zur Überwachung der Risikolage bei rund der Hälfte der Institute auf Gelb oder gar Rot steht; in anderen Regionalverbänden soll es kaum anders aussehen (siehe unser Stück -> „Die Buba ruft Alarm. Und bei dutzenden Sparkassen springen die Warn-Ampeln an“). Die regionalen Verbände von Sparkassen und Genossen hatten zuvor auf Finanz-Szene-Fragen zu konkreten Belastungen in ihren Wertpapier-Portfolios gemauert. Die Belastungen gebe es zwar – Details werde man aber erst in den turnusmäßigen Jahres-PKs Anfang 2023 nennen. Fraglich, ob die beiden Verbünde an diesem Zeitplan werden festhalten können oder ob der Druck der Öffentlichkeit im Licht der aktuellen Ereignisse nicht zu groß werden wird.

Gegenüber Bafin und Bundesbank jedenfalls verbietet sich jede Mauertaktik – zumal die Aufseher den Banken den Finanz-Szene-Informationen zufolge enge Fristen setzen:

  • Den ersten Schwung an Daten, bei dem es offenbar vorwiegend um allgemeine Fragen und konzeptionelle Aspekte für die Ermittlung von Rückstellungen geht, sollen per Excel bis Ende dieser Woche geliefert werden.
  • Die exakten Daten sind bis zum 13. Januar einzureichen. Dabei müssen Banken und Sparkassen den Behörden darlegen, wie hoch „die zum jetzigen Zeitpunkt erwartete Höhe der voraussichtlichen Drohverlustrückstellung“ zum Jahreswechsel ausfalle. Auch müssen die Häuser „verschiedene weitere Attribute dieser Ermittlung und Erläuterungen zum besseren Verständnis“ darlegen.

Pikant: Wie haben die Institute ihre Einlagen modelliert?

Es mag Banken und Sparkassen geben, in denen der Vorstand nach der Entwicklung der letzten Monate antizipiert hat, dass die Frage nach den stillen Lasten irgendwann kommen würde – und wo man die geforderten Zahlen deshalb schon mit Blick auf das jährliche Aufsichtsgespräch aufbereitet hat. Zugleich wird es bei zahlreichen Instituten mit der vorweihnachtlichen Ruhe allerdings vorbei sein. Eingeweihte sagen, wer seine Aktiva fristengerecht refinanziert habe, müsse von der aktuellen Übung wenig befürchten. Wer freilich bis zur Zinswende langlaufende Immobilienkredite zu Kampfkonditionen gewährt und diese womöglich kurzfristig refinanziert habe – für den gehe es nun ans Eingemachte.

Pikant: Bei ihrer Erhebung interessieren sich die Aufseher sehr konkret dafür, wie die einzelnen Institute „Einlagen mit unbestimmter Zinsbindung und Verweildauer“ modellieren. Dies dürfte auf die immensen Bestände an Tagesgeld sowie Kontokorrent-Einlagen in den Verbünden gemünzt sein. Denn bei manchen Sparkassen- und VR-Banken entfallen nach Jahren des Zinstiefs rund zwei Drittel des Depositenbestands auf Sichteinlagen, die zu einem guten Teil als Refinanzierung langlaufender Kredite dienen. Konkret kalkulieren die Institute dabei natürlich ein, dass Kunden täglich abrufbare Einlagen tatsächlich ad-hoc abrufen – aber eben nur zum Teil.

Dem übrigen Volumen weisen die Institute, je nach Aggressivität ihrer Berechnungen, verschiedene Laufzeitenbänder und damit eine Haltedauer von bis zu 20 Jahren zu, wie in der Branche berichtet wird. Das damit einhergehende Zinsänderungsrisiko werde je nach Wagemut abgesichert bzw. teils in Kauf genommen. Wohl auch vor diesem Hintergrund bitten die Aufseher die Institute nun „um die Darstellung der für Ihre interne Modellierung verwendeten Mischungsverhältnisse bei Einlagen mit unbestimmter Zinsbindung und Verweildauer“.

Im Zeitalter von Open Banking und Einlagen-Plattformen hat sich die Flüchtigkeit dieser Art der Refinanzierung erhöht. Was, wenn Privatkunden angesichts steigender Zinsen nun Tagesgeld im großen Stil umschichten? Zugegeben: Die Oktober-Daten der Bundesbank zur Einlagenverzinsung lieferten noch keine diesbezüglichen Hinweise, siehe kürzlich unser Exklusiv-Stück -> „Banken zahlen Firmenkunden jetzt merklich höhere Zinsen als Privatkunden“.

Fast schon Fair-Value-Prinzip: Welche Rolle eine neue IDW-Regel spielt

Zwar hält die Bundesbank in ihrem jüngsten Stabilitätsbericht den kleinen und mittelgroßen Banken zugute, dass diese ihre Wertpapiere oft bis zur Endfälligkeit halten, wodurch sich Marktwertverluste ausgleichen sollen. Einfach aussitzen lässt sich das bilanzielle Ungemach allerdings nicht. Denn die HGB-Bilanzierung sieht vor, dass Kreditinstitute “für ungewisse Verbindlichkeiten und für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften” Rückstellungen bilden. Das hat konkrete Folgen für die GuV. Und auch wenn Banken und Sparkassen ihre Buchverluste aufholen sollten, so hat die Aufsicht doch darauf zu achten, dass die Institute jederzeit entsprechend ihren Risiken ausreichend kapitalisiert sind.

In der Frage der Bilanzierung stiller Lasten kommt das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) ins Spiel. Das hat seine entsprechenden Regeln vor nicht allzu langer Zeit in Vorgaben zur „verlustfreien Bewertung von zinsbezogenen Geschäften des Bankbuchs“ konkretisiert. Und die gelten nicht nur für Wertpapiere im Eigenbestand, sondern für das gesamte Zinsbuch, also auch für das Kreditportfolio. Demnach müssen die Institute jeweils im Lichte ihrer Risikokosten sowie ihres Verwaltungsaufwands prüfen, ob ihre jeweiligen Verpflichtungen aus laufenden Zinsgeschäften größer sind als die damit verbunden Einnahmen. Ergibt sich ein sogenannter “Verpflichtungs-Überschuss”, ist in dessen Höhe eine Drohverlustrückstellung zu bilden, die das Ergebnis belastet.

Wie der Name besagt, geht es dabei nicht um bereits realisierte Verluste, sondern um drohende Belastungen, die schlicht aus einer ungünstigen Konstellation von Zinseinnahmen und parallel auflaufendem Aufwand entstehen können – wenn eine Bank zum Beispiel eine lang laufende Forderung zu einem Satz von 100 refinanziert hat, diese inzwischen aber weniger als 100 abwirft. Entsprechende Ergebnisbelastungen können Banken zwar entgehen, indem sie unter Wasser stehende Wertpapiere aus ihrem Umlauf- ins Anlagevermögen verfrachten. Sofern Wertverluste dort auf Marktschwankungen und nicht auf eine Verminderung der Bonität des Schuldners zurückgehen, müssen sie die Papiere dort nicht abschreiben. Prüfer sehen es indes ungern, wenn diese Umwidmung als allzu durchsichtiges Bilanzmanöver daherkommt. Voraussetzung ist zudem, dass die Papiere nicht der Liquiditätsreserve dienen oder anderweitig gebunden sind.

Bilanzierungsexperten geben zu bedenken, die Regeländerung durch das IDW habe de facto eine Annäherung der HBG-Rechnungslegung an das Fair-Value-Prinzip gemäß IFRS zur Folge habe. Entsprechend groß soll während der Konsultation zum IDW-Rundschreiben mancherorts der Protest gewesen sein. Die Zinswende bedeutet damit nicht nur für die Bankenaufsicht eine Nagelprobe, sondern auch für die diesbezügliche neue Vorgabe “IDW RS BFA 3”. Für Rückfragen zur Umfrage hat die BaFin den Instituten denn auch eine E-Mail-Adresse namens “Umfrage-BFA3-2022@bafin.de“ genannt.

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