von Christian Kirchner und Heinz-Roger Dohms, 26. September 2023
Seit Wochen ist das Chaos bei der Postbank das vorherrschende Thema rund um die Deutsche Bank. Doch während sich der Vorstandschef (Christian Sewing) und der für Deutschland zuständige Spartenchef (Lars Stoy) in der Sache mittlerweile eingelassen haben, ist von dem Mann, in dessen Zuständigkeit die Postbank doch eigentlich fällt, rein gar nichts zu hören: Claudio de Sanctis.
Nun lassen sich mindestens drei plausible Gründe finden, warum sich ausgerechnet Sewing und Stoy zu Wort gemeldet haben. Nämlich 1.) Christian Sewing ist das – auch politische – Gesicht der Bank. Hätte er sich weggeduckt, wäre das nicht gut angekommen; 2.) Sewings Auftritt beim „Handelsblatt-Bankengipfel“ (wo er letzte Woche Stellung nahm) war lange terminiert, er konnte also kaum anders, als sich zur Postbank äußern; und 3.) Stoy seinerseits hält den Kopf auch deshalb hin, weil er ebendiesen Kopf irgendwie retten will (denn das Desaster ist ja nicht zuletzt auch sein Desaster).
Das alles ist allerdings immer noch keine Erklärung, warum de Sanctis, immerhin seit Juli der Privatkundenchef der Deutschen Bank, rein gar nichts sagt. Wobei, andererseits: Wundert’s einen?
Die terminologische und sonstige Logik will es, dass bei den großen Banken hierzulande der Privatkundenchef auch immer der Retailchef ist. Die Frage, die sich mit Blick auf die Commerzbank, die Hypo-Vereinsbank oder eben die Deutsche Bank allerdings stellt, lautet: Will der Privatkundenchef (oder die Privatkundenchefin) das überhaupt noch sein? Also ein richtiger Retailbanker? Oder ist Retailbanking nicht eher eine Disziplin, die man lieber den Thilo Hackes (Privatkundenchef der DKB) und Daniel Llanos (Privatkundenchef der ING Deutschland) überlässt, weil man als Großbanker im Retailbanking heutzutage eh nur verlieren kann (siehe Lars Stoy)?
Der Privatkundenchef der Commerzbank jedenfalls, Thomas Schaufler, ist in seiner mittlerweile gut 20-monatigen Amtszeit vor allem mit zwei Grundsatzentscheidungen aufgefallen:
Was derweil die langen Schlangen vor den Commerzbank-Filialen angeht, sieht Schauflers Antwort so aus, dass jetzt erst einmal 90 Mitarbeiter für die Betreuung der Kunden vor Ort angeheuert werden. Was eher nach taktischer Plombe als nach strategischer Wurzelbehandlung klingt. Und die Comdirect? Um die ist es (abgesehen vom Launch einer Social-Trading-App) unter Schaufler zuletzt komplett still geworden. Im Brokerage? Wirken die Scalable Capitals und die Trade Republics seit langem viel umtriebiger. Im Robo-Advisory? Hat die Comdirect zuletzt sogar den Anschluss an die Quirin Bank verloren.
Doch sind das wirkliche Versäumnisse? Oder ist es nicht eher Teil einer grundsätzlichen strategischen Entscheidung, weg vom Retailbanking, hinein ins Private Banking, ins Geschäft mit den „Affluents“ (oder wenigstens „Mass Affluents“)?
Klassische Retailbanker vom Schlage des alten Comdirect-Marketingchefs Matthias Hach finden sich in der Commerzbank jedenfalls kaum noch. Auch Arno Walter, der langjährige Comdirect-CEO, ist jetzt raus – wobei selbst Walter zuletzt irgendwas mit „Wealth Management“ und „Unternehmerkunden“ gemacht hatte. Alles, nur kein Retail.
Das passt zu einer Entwicklung, die sich seit vielen Jahren schon bei der Hypo-Vereinsbank beobachten lässt (die ja übrigens auch raus ist bei EPI und bei Paydirekt sowieso):
Dass im Zuge dessen auch die Zahl der Retailkunden um ein Fünftel auf nur noch 1,44 Mio. gefallen ist, wurde als Kollateralschaden in Kauf genommen. Wenn’s denn überhaupt ein Schaden war. Denn die Fokussierung auf digitalaffine und/oder vermögende (und damit tendenziell profitable) Kunden ist seit Jahren Programm. Was dazu beiträgt, dass die Aufwandsquote zuletzt auf 43% fiel, während die Eigenkapitalrendite auf 18% stieg.
Braucht’s für solche Strategien noch ausgewiesene Retailbanker? Die neue Privatkundenchefin Monika Rast war ihr Bankerleben lang im Corporate- bzw. Investmentbanking zugange; und ihr Vorvorgänger Jörg Frischholz entstammte ebenfalls dem Firmenkundengeschäft (und wechselte sozusagen auch dorthin zurück, als er die HVB gen NordLB verließ).
Womit wir wieder bei Claudio de Sanctis wären. Der zwar kein Firmenkundenbanker ist. Aber eben auch kein Retailbanker. Sondern ein Privatbanker fast schon klassischer Schule, vom Habitus und von der Vita, sozialisiert bei der UBS, mit Stationen in Zürich, Genf, Lugano, Singapur. Weiß so einer, was jetzt die richtige Strategie für die Postbank-Filiale in Herford wäre? Und interessiert ihn das überhaupt?
De Sanctis hat von seinem Vorgänger Karl von Rohr einen Berg von Problemen geerbt. Nicht nur, was die missglückte IT-Migration der Postbank auf die Systeme der Deutschen Bank angeht. Sondern auch, was die allgemeine Performance angeht. Die Aufwandsquote der Private Bank lag zuletzt bei über 80%. Im internen wie im externen Vergleich völlig indiskutabel.
Es muss also etwas passieren. Nur was? In den Zwillingstürmen folgt dieser Tage Sitzung auf Sitzung. Es tagt der Vorstand. Es tagt der Aufsichtsrat. Es tagt das „Executive Committee“ der Private Bank. Gesucht wird eine neue Strategie für das Privatkundengeschäft. Doch obwohl de Sanctis seinen Dienst extra schon zum 1. Juli angetreten hat (statt wie geplant im November) und somit bald schon die berühmten 100 Tage im Amt ist, lässt die neue Strategie nach wie vor auf sich warten.
Auf 19 Mio. Privatkunden kommen Deutsche Bank und Postbank zusammengerechnet immer noch. Doch was ist die schiere Masse heutzutage noch wert, mal abgesehen davon, dass sich infolge der Zinswende wenigstens mit den Einlagen (satte 593 Mrd. Euro) wieder gewinnbringend arbeiten lässt?
De Sanctis hat durchblicken lassen, dass er die Schwelle zwischen Private Banking und Retailgeschäft niedriger hängen will, als das bislang der Fall sei. Doch welche Pläne hat er für all jene Kunden, die unterhalb dieser Schwelle bleiben? Zumal, wenn diese sich nicht auf den digitalen Zugangsweg einlassen, sondern weiterhin in die Filialen kommen wollen?
Als eine seiner ersten Amtshandlungen jedenfalls hat de Sanctis aus der alten Untereinheit „Privatkundenbank Deutschland“ zwei neue Untereinheiten gemacht, nämlich eine für das deutsche Wealth Management und das deutsche Private Banking – und dann noch eine, die den schönen Namen „Personal Banking Germany“ trägt und in die vermutlich jene Kunden kommen, die unter der von de Sanctis definierten neuen Schwelle liegen. Wenn die Deutsche Bank dann also demnächst die neue Strategie präsentiert und diese in den darauffolgenden Monaten umsetzen wird – dann darf man gespannt sein, ob „Personal Banking Germany“ mehr sein wird als die nächste interne Bad Bank.
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