von Bernd Neubacher, 20. Dezember 2022
In unserer zehnteiligen Ausblicks-Serie schauen wir auf das, was Banken und Fintechs im kommenden Jahr umtreiben wird.
Heute Teil drei zu den großen Regulierungsthemen: Fünf Fragen, fünf Antworten.
Anderthalb Jahrzehnte nach Ausbruch der Finanzkrise soll die Basel-III-Reform endlich finalisiert werden. Tendenz: So schlimm, wie von den Banken einst befürchtet, wird’s nicht kommen. So hat sich der prognostizierte Anstieg der Kapitalanforderungen im Laufe der Beratungen merklich vermindert. Einst war von rund 20% die Rede (gemeint ist der Quotient aus Eigenkapital und Risikoaktiva), zuletzt dann aber nur noch von 4%, siehe unsere große Analyse -> „Wie unsere Banken das Basel-III-Finale gewinnen“. Und selbst wenn 2033 die letzten Übergangsfristen ausgelaufen sein werden, dürften die deutschen Banken laut Berechnungen der Bundesbank mit 7% hinkommen.
Freilich – fixiert ist das alles noch nicht. Nach EU-Kommission und Ministerrat soll Anfang 2023 nun der zuständige Ausschuss des EU-Parlaments zu einer Entscheidung kommen. Dazu wiederum muss man allerdings wissen: Insgesamt sind rund 2.000 Änderungsanträge gezählt worden. Weshalb sich der Trilog zwischen Kommission, Ministerrat und Parlament bis weit ins Jahr ziehen könnte. Konkret dürfte es dabei unter anderem um die folgenden vier Streitpunkte gehen:
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Während mit Basel III das letzte umfassende Regulierungswerk im Gefolge der Finanzkrise noch seiner Umsetzung harrt, werden andere Post-Krisen-Regeln schon zum wiederholten Male überarbeitet. Zum Beispiel der 2023 schon 13 Lenze zählende EU-Rahmen für Krisenmanagement im Finanzsektor, der später durch Vorgaben zur Bankenabwicklung, zum Einlagenschutz sowie zur Errichtung einer einheitlichen Bankenaufsicht in Euroland mit Leben gefüllt wurde. Geplant ist eine Neufassung der Leitlinien, die zusammen unter dem Begriff „Crisis Management Deposit Insurance Framework“ (CMDI) läuft. Die Konsultation dazu lief schon im Frühjahr 2022, und eigentlich wollte die EU-Kommission noch im Schlussquartal ihren Vorschlag für eine Richtlinie präsentieren. Dies zieht sich nun ins neue Jahr. Hier die wichtigsten bis heute offenen Punkte:
Stichwort Einheitlichkeit: Verbesserungsbedarf gibt es etwa bei den Vorgaben zur Bankenabwicklung. Dies liegt teils an nationalen Sonderwegen, aber auch an einem Flickenteppich von Regelungen. So hat die EU die Regeln zur Einlagensicherung harmonisiert, ohne zuvor das Insolvenzrecht europaweit zu vereinheitlichen. Zudem setzte Brüssel sein einheitliches Abwicklungsrecht auf ein System sehr unterschiedlicher nationaler Regelwerke auf, wie Elke König, die scheidende Chefin des europäischen Bankenabwicklungsfonds SRF, kritisiert hat. Die Folge sind große Unterschiede, wie mit Problembanken umgegangen wird: Mal werden sie (wie bei der spanischen Banco Popular) abgewickelt respektive auf einen Wettbewerber verschmolzen (in dem Fall Santander), unter lehrbuchmäßiger Verteilung der Kosten auf Aktionäre und Gläubiger nach dem europäischen Regelwerk. Mal wird aber auch – wie verschiedentlich in Italien und zuletzt auch im Fall der Nord/LB – alles Erdenkliche unternommen, um genau das zu verhindern.
Stichwort Liquidität: Als Schwachstelle der Bankenabwicklungsrichtlinie BRRD gilt zudem die Liquidität eines in Schieflage geratenen und in die Restrukturierung geschickten Instituts. SRB-Chefin und Ex-Bafin-Präsidentin König macht sich seit Jahren dafür stark, dass die EZB die Liquiditätsversorgung solcher Häuser übernimmt. Die will davon freilich nichts hören. Trotzdem bleibt das Problem bestehen, dass eine kriselnde Bank unter Umständen mit Blick auf Kapitalausstattung und Struktur gerettet wird, dann aber mangels Liquidität doch zu kippen droht. Natürlich lässt sich dies auch ad hoc lösen, aber „mir wäre nur lieber, man machte sich im Vorhinein Gedanken, wie man eine solche Situation bewältigen will“, sagte König einmal.
Stichwort Abwicklung mittelgroßer Krisenfälle: Beobachtern zufolge fehlt es in der EU an gescheiten Abwicklungsregeln für die „middle class“ der Banken. Einerseits seien solche Häuser zu groß, um sie einfach in die Insolvenz zu schicken, andererseits zu wenig differenziert, um große Mengen an bail-in-fähigen, für eine erfolgreiche Abwicklung erforderlichen Papieren wie nachrangige Anleihen zu emittieren, hat Fernando Restoy bemängelt, Chair des Financial Stability Institute, das bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel angesiedelt ist.
Könnte der neue Vorstoß der Kommission in diesen Fragen sich als der große Wurf herausstellen? Die Erfahrung mahnt zur Skepsis. So darf etwa die 2014 erlassene Richtlinie zur Vereinheitlichung des Einlagenschutzes nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Vorschlag der Kommission für eine Vergemeinschaftung des Depositenschutzes, die neben Aufsicht und Abwicklung als dritte Säule der Bankenunion gilt, in Brüssel seit nunmehr sieben Jahren in der Luft hängt – auch weil Deutschland sich dem erbittert widersetzt. Zuletzt scheiterte Eurogruppen-Chef Paschal Donohoe im Juni mit einem Vorstoß für einen zweistufigen und mehrjährigen Arbeitsplan zum Abschluss der Bankenunion.
Bis 5. Januar 2023 noch nimmt die EU-Kommission Feedback zu ihrem Gesetzesentwurf entgegen, der in Europa tätige Banken und andere Zahlungsdienstleister verpflichtet, künftig auch Sofortüberweisungen in Euro anzubieten, ohne dafür Verbrauchern grundsätzlich höhere Kosten als für normale Transfers in Rechnung stellen zu können. Kommission und Aufseher hadern damit, dass zu Ende 2021 gerade 11% der Euro-Überweisungen in der EU auf Sofortüberweisungen entfielen. Dabei stellten die Euro-Zentralbanken schon 2018 die Erreichbarkeit fast aller Bankkonten für Echtzeit-Zahlungen sicher, wie Bundesbank-Vorstandsmitglied Burkhard Balz vor wenigen Wochen in Erinnerung rief.
Die neuen Regeln zum Tempo von Überweisungen sollen nach dem Willen der Kommission sechs Monate nach Inkrafttreten der geplanten Verordnung gelten. Anbieter außerhalb des Euroraums bekämen mehr Zeit zur Umsetzung. Doch während die Kommission aus dem EU-Parlament Lob erhält dafür, dass der europäische Zahlungsverkehr mit der Pflicht zur Sofortüberweisung „im 21. Jahrhundert ankommt“ (wie der CSU-Abgeordnete Markus Ferber erklärte), erntet sie in Deutschland Kritik.
Die Vorschläge gingen „deutlich über ein den Markt förderndes Maß hinaus“, rügt die Deutsche Kreditwirtschaft, das Sprachrohr der deutschen Bankenverbände. Ein gesetzgeberischer Zwang zur nahezu ausschließlichen Nutzung von Echtzeitzahlungen würde „tief in die marktwirtschaftlichen Dynamiken eingreifen und zu höheren Kosten für Banken und Kunden führen, ohne dass damit in jedem Fall ein Nutzen verbunden wäre“. Ein Marktversagen sei nicht zu erkennen. Opposition kommt auch vom Verband der Auslandsbanken in Deutschland. Der schreibt dem Bundesfinanzministerium, „dass viele Kreditinstitute in ihrem Geschäftsmodell keinen Bedarf an dem Angebot von Sofortüberweisungen haben“ und eine verpflichtende Teilnahme zu Kosten und Nutzen führen würde, die „in keinem Verhältnis“ stünden.
Die 7. Novelle der Mindestanforderungen ans Risikomanagement (MaRisk), welche die Bafin im September und Oktober 2022 in die Konsultation gab, verpflichtet Kreditinstitute, ESG-Faktoren in ihr Risikomanagement und die Kreditvergabe einzubauen. Dies kann Banken kaum überraschen. Damit folgt die Bafin einer von der EZB, der European Banking Authority (EBA) sowie dem Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht vorgegebenen Neuausrichtung. Konkret sollen Banken in Zukunft sicherstellen, dass sie ESG-Aspekten bei der Bewertung der Leistungsfähigkeit von Schuldnern gerecht werden. Auch beim Blick auf Sicherheiten müssen sie etwa im Falle von Immobilien deren Energieeffizienz sowie die Klimaresistenz berücksichtigen.
In seltsamem Kontrast zur Verve, mit der die Bafin ESG-Aktivitäten betont und forciert, steht mitunter ihre Praxis in den jährlichen Aufsichtsgesprächen mit Kreditinstituten. Da sei in Sachen ESG kein großes Interesse zu erkennen gewesen, ist etwa aus Banken zu hören. Bleibt die Frage, ob sich das mit den neuen Regeln ändert.
Reißt eine Bank eine gesetzte Frist zur Lieferung von Daten oder Meldungen, kann die Aufsicht in Europa rasch recht unangenehm werden – erst vor wenigen Tagen teilte die EZB mit, dass die spanische Bank Abanca gut 3 Mio. Euro berappen muss, weil sie eine Cyber-Attacke nicht umgehend gemeldet hatte. Sich selbst genehmigen die Aufseher schon erheblich mehr Beinfreiheit. So wartet die deutsche Kreditwirtschaft zum Beispiel seit nunmehr 15 Monaten auf die Auslegungshilfe der Bafin zu deren Vergütungsverordnung. Die jüngste Fassung der Bonusregeln trat schon im September 2021 in Kraft, doch die dazu gehörige neue Auslegungshilfe, die kurz darauf folgen sollte, ward bisher nicht gesehen.
In der Bafin, so ist in Marktkreisen zu erfahren, sollen sich zuletzt zunehmend Fragen breit gemacht haben, ob die derzeit 76 Seiten umfassende Auslegungshilfe zur nicht einmal 20 Seiten zählenden Vergütungsverordnung nicht doch vielleicht eine deutliche Entschlackung gebrauchen könnte. Im Startquartal dürfte sich die Bafin bei den Betroffenen melden, heißt es. Die Bafin selbst will dies nicht kommentieren.
„Melden“ heißt freilich nicht automatisch, dass die Bafin ihre – möglicherweise entschlackte – Auslegungshilfe auch 2023 vorlegen wird. Auf einen Publikationstermin will sie sich jedenfalls auf Anfrage nicht festlegen. Die Kreditwirtschaft wird sich über das Versäumnis dennoch kaum offen beschweren. Zum einen kann es den Banken und Sparkassen nur recht sein, wenn die Aufsicht ihr Regeldickicht etwas begradigt. Zum anderen haben die Institute – je mehr Zeit die Aufsicht braucht, um die neuen Regeln zu konkretisieren – um so länger Ruhe, bevor sie ihre Vergütungssystemen mal wieder aufs Neue anpassen müssen.
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