von Christian Kirchner, 2. Januar 2023
In unserem Jahresrückblick zeigen wir, welche Themen Sie 2022 besonders interessiert haben – mit zwölf Klickfavoriten aus zwölf Monaten.
Heute Teil sieben:
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An Payment-Studien herrscht weißgott kein Mangel da draußen. Doch wie groß ist der Mehrwert solcher Untersuchungen wirklich, wenn – nur mal als Beispiel – unsere Freunde von Visa feststellen, dass „das digitale Bezahlen in Deutschland stetig zunimmt“? Das Marketing-Interesse solcher Erhebungen übersteigt im Zweifel dann halt doch das Erkenntnis-Interesse, die Repräsentativität neigt aus Budgetgründen gern mal ins Nicht-Repräsentative, und selbst wenn die Methodik den gängigen Kriterien genügt, heißt das noch lange nicht, dass unten nicht was rauskommt, was man nicht eh schon wusste oder wenigstens zu wissen glaubte.
Insofern: Ein Hoch auf die gute, alte Bundesbank!!! Interessen hat die zwar auch. Aber irgendeiner Bezahlmethode das Wort zu reden, gehört eher nicht dazu. Und Budget? Ach – was sind für die Bundesbank schon Budgets?
Und so ist bei der Buba also irgendjemand auf die großartige Idee gekommen, die seit 2008 im Drei-Jahres-Rhythmus durchgeführte Monumental-Studie „Zahlungsverhalten in Deutschland“ aufgrund der irrsinnigen Dynamik in dem Thema einfach auch mal außer der Reihe durchzuführen (eigentlich wäre es erst in zwei Jahren wieder so weit gewesen).
Was nun Repräsentativität und Methodik angeht: 5.870 (!) Interviews hat die Buba geführt bzw. führen lassen. Die Erkenntnisse? Sind hochrelevant und in Teilen sogar verblüffend. So hält die Studie erste Datenpunkte bereit, die die ultrasteile These von der Mini-Renaissance des Bargelds stützen. Darüber hinaus liefert sie handfeste Indizien, dass die Girocard tatsächlich deutlich an Traktion verliert. Zudem zeichnet die Untersuchung eindrücklich nach, wie die Kreditkarte ihren Zenit hierzulande überschritten zu haben scheint. Und selbst das ist noch lange nicht alles.
Die zehn wichtigsten Ergebnisse:
In „Finanz-Szene – Der Podcast“ hatte die Commerzbank-Vorständin Bettina Orlopp jüngst berichtet, der Trend zu Kartenzahlungen habe zuletzt deutlich an Schwung verloren – ein auf den ersten Blick kontraintuitiver Befund.
Die Bundesbank-Studie indes stützt Orlopps Beobachtung:
Die Verlangsamung ist umso erstaunlicher, als die Zahlen ja auch die Bezahlvorgänge im Internet beinhalten. Nun ist aber der Anteil der Internet-Umsätze an allen Transaktionen der Befragten zwischen 2017 und 2021 von zunächst 6% auf 24% hochgeschnellt. Heißt: Dass der Cash-Anteil zuletzt überhaupt noch sank, war eher dem veränderten Einkaufsverhalten (E-Commerce statt stationärer Handel) denn einem völlig veränderten Bezahlverhalten (Karte/Mobile statt Cash am Point of Sale) geschuldet. Nähert sich der Anteil der Bargeldnutzung womöglich einem gewissen Boden, weil die verbliebenen Bargeldfans schlicht sehr hartnäckig sind?
Bettina Orlopp über die Ertragswende der Commerzbank
Woher speist sich das Wachstum der Umsätze mit der Girocard? Darüber tobt in der Payment-Branche ein Glaubenskrieg (siehe z.B. unser Stück ->„Die Wachstumsstory der Girocard kommt an ihr Ende„). Die eine Seite argumentiert, die Girocard werde immer populärer und habe treue Kunden, die die Karte immer öfter zücken. Die andere Seite hält das Wachstum der im Internet quasi unbrauchbaren Girocard für einen vorübergehenden Windfall profit, der auf dem Siechtum zweier anderer Bezahlmethoden fußt – nämlich Cash und Lastschrift.
Tatsächlich konnte die Girocard zuletzt wieder Wachstumszahlen vermelden: plus 10% beim Umsatz, plus 12% bei den Transaktionen, hieß es im Februar (siehe hier).
Wie aber sieht es im relativen Vergleich der Bezahlsysteme aus? Wenn wir zunächst auf die Transaktionen und ihre Verteilung blicken, …
… so lässt sich feststellen: Zwar differenziert die Bundesbank nicht zwischen unterschiedlichen Debitkarten (also etwa den Giro-/Bankkarten versus den Debitkarten von Mastercard und Visa). Der Anteil der Debitkarten an allen Transaktionen ist indes 2021 interessanterweise geschrumpft, und zwar um einen halben Prozentpunkt auf 22,6%.
Da kundenstarke Direkt- und Neobanken wie N26, DKB oder Comdirect über die vergangenen zwei Jahre massiv Debitkarten von Mastercard und Visa ausgerollt und diese Karten auch einen starken Kundenzulauf haben, darf man annehmen: Hätte die Buba auch Stand-Alone-Zahlen für die Girocard ausgewiesen, wäre der Marktanteilsverlust sogar noch größer ausgefallen.
Zumal: Die Bundesbank betont die wachsende Bedeutung andere Debitkarten sogar explizit (siehe mehr dazu weiter unten). Wörtlich heißt es, es hätten „Umschichtung zugunsten von Debitkarten internationaler Anbieter stattgefunden“. Kurzum: Der sich abzeichnende Bedeutungsverlust der Girocard ist trotz des massiven Corona-Schubs für das kontaktlose Bezahlen bereits messbar – zumindest anhand relativer Zahlen.
Der drohende Abstieg der Girocard spiegelt sich auch im Bedeutungsgewinn „anderer unbarer Zahlungen“, deren Transaktions-Anteil allein im vergangenen Jahr um spektakuläre 5,3 Prozentpunkte (!!) anstieg – mehr als in den drei vorangegangenen Jahren zusammen. Wer dieser Gruppe angehört? Natürlich Paypal (jetzt 4,2% an allen Transaktionen). Aber inzwischen in merklichem Umfang eben auch Apple Pay, Google Pay und Klarna.
Bei den Umsatzanteilen übrigens ist der relative Verlust der Debitkarten sogar noch größer. Sprich: Was die Girocard stationär vielleicht noch gewinnt, ist im Big Picture fast schon vernachlässigenswert. Denn das Umsatzwachstum im Bezahlverkehr kommt aus dem Internethandel – wo, siehe oben, die Girocard keine Rolle spielt.
Dass etliche Banken ihr Karten-Portfolio in den letzten Jahren massiv umgebaut haben, wurde bei Finanz-Szene ja extensiv beschrieben (siehe etwa hier, hier und hier). Die große Frage indes lautete bislang: Was hat sich hierdurch am Nutzungsverhalten geändert? Die einzige einigermaßen aussagekräftige"Benchmark"-Untersuchung hierzu war bislang die jährlich vom EHI Retail Institut herausgegebene Studie "Zahlungssysteme im Einzelhandel". Für diese waren zuletzt 430 Mrd. Euro Umsatz im stationären Einzelhandel ausgewertet worden. Ergebnis? Die Debitkarten jenseits der Girocard (also Visa-Debit, Mastercard-Debit, Maestro-Oldies etc. ...) seien gerade mal auf 0,8% des POS-Geschäfts gekommen.
Auch wenn die Bundesbank-Zahlen mit den Daten der EHI-Studie nicht 1:1 vergleichbar sind, legt die gestern vorgestellte Untersuchung doch eine bereits deutlich größere Bedeutung der neuen Debitkarten von Visa und Mastercard nahe. Ein Indiz: Der Besitz von Kreditkarten sei erstmals seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 2008 gesunken – nämlich von zuvor 58% auf nur 54%. "Ein Grund dafür könnte sein, dass eine Umschichtung zugunsten von Debitkarten internationaler Anbieter stattgefunden hat. Da diese einen ähnlichen Funktionsumfang aufweisen, wird eine Kreditkarte ggf. nicht mehr benötigt", schreibt die Bundesbank nachvollziehbarerweise. Dieser mutmaßliche Trend hat, siehe oben, auch Einfluss auf den Umsatzanteil: Nach jahrelangem Anstieg sank der Anteil von Kreditkarten an allen Umsätzen im vergangenen Jahr von 10,8% auf nur noch 10,4%.
Ein weiteres Opfer der Verschiebungen im Kartenreich ist übrigens die sogenannte "Kundenkarte mit Zahlungsfunktion" – einst populäres Instrument zur Kundenbindung insbesondere im Handel. Befand sich diese noch 2008 in fast jeder fünften Geldbörse, so ist ihre Verbreitung auf inzwischen nur noch 8% (2020: 12%) gesunken.
Seit März 2021 gelten für Kreditkartenzahlungen im Internet strengere Sicherheitsanforderungen: Kunden müssen Transaktionen häufig mit SMS-Tans oder anderen Sicherheitsverfahren (3D Secure, Visa Secure, S-ID-Check) bestätigen. Was der Sicherheit dient, ist in der Praxis indes oft Quelle von Frustration und Payment-Kanalwechseln: 12% der Nutzer, die eine Kreditkarte besitzen und im Internet einsetzen, berichteten der Bundesbank davon, dass sie "häufig" oder gar "in ungefähr der Hälfte der Einsatzversuche" wegen der Sicherheitsabfragen den Kauf abbrechen. Weitere 24% brechen ebenfalls Kaufversuche ab, allerdings nur "selten".
Dass das ganze keine Funktion von Vergesslichkeit und fehlender Gewohnheit ist, zeigt ein Vergleich zwischen sehr aktiven Nutzern von Kreditkartenzahlungen im Internet ("mehrmals im Monat") sowie den sehr seltenen Nutzern ("einmal im Jahr oder seltener"). Denn: Der Anteil der Nutzer, die von mindestens gelegentlichen Problemen berichten, lag bei den Power-Usern bei 30% und somit fast so hoch wie bei den seltenen Nutzern bei 36%. Also allem Anschein nach ein signifikantes Problem, keine statistische Verzerrung.
Die Bundesbank-Befragung liefert auch interessante Zahlen zum Krypto-Boom (oder zu dem, was mal ein Krypto-Boom gewesen sein soll, der Untersuchungszeitraum war September bis Dezember 2021). Und zwar: Nur 4 % der Befragten hatten zur damaligen Zeit schon einmal eine Krypto-Währung gekauft, weitere 4 % planten dies in nächster Zeit zu tun. Dies bedeutete einen Anstieg von jeweils nur einem Prozentpunkt gegenüber dem Vorjahr – während zugleich der Anteil derjenigen, die nach eigenen Angaben keinen Kauf planten, von 80% auf 83% anstieg (der Rest gab keine Antwort oder war unentschieden).
Die (potenzielle) Zahlungsfunktion spielte dabei für die ganz, ganz große Mehrheit keine Rolle. Von den Krypto-Käufern sahen 85% hierin eine Investition, lediglich 8% ging es vorrangig um Krypto als Zahlungsmittel.
Wie können Banken ihre Filialstrukturen zurückbauen, aber zugleich die (für sie selber extrem teure) Bargeldversorgung sicherstellen? Die Bundesbank-Studie liefert zu dieser Gretchenfrage spannende Anhaltspunkte:
Auffällig: Während der Anteil derjenigen Befragten, die auch Geld am Bankschalter abheben, zwischen 2011 und 2017 noch relativ moderat sank, ist er in den vergangenen Jahren regelrecht eingebrochen. Eine Erkenntnis, die sehr gut passt zu unserer jüngsten Analyse -> "Das Sterben der SB-Infrastruktur bei Deutschlands Banken".
Problematisch indes aus Bankensicht: Wer noch zum Schalter geht, tut dies weiterhin sehr regelmäßig, nämlich rund 13 Mal pro Jahr – vor zehn Jahren war der Wert exakt gleich hoch.
Als Apple kürzlich den Einstieg in den "Buy now, pay later"-Markt ankündigte, mutete dies wie eine Zäsur an – zumal der US-Technologiekonzern, anders als bei Apple Pay und der Apple Card, diesmal auf die Zusammenarbeit mit einer klassischen Bank verzichtet.
Kommt also als nächster Schritt die "Apple-Hausbank"?
Zumindest in dieser Hinsicht hat die Bundesbank gute Nachrichten für die hiesigen Banken. Ganz 95% (!!!) der Befragten können sich nach eigenen Angaben nicht vorstellen, bei einem Tech-Konzern ein Konto zu führen (wiewohl viele Deutsche das im Falle von Paypal ja längst tun). Danach gefragt, welche Institution verantwortungsbewusst mit den eigenen Zahlungsdaten umgeht, vertrauen 92% der Befragten der eigenen Hausbank. Das Vertrauen in Technologiekonzerne sowie Startups bzw. Fintechs (die erstaunlicherweise in einem "Cluster" geführt wurden) fällt gering aus: Lediglich 15% bzw. 13% der Befragten verlassen sich in puncto Datenschutz auf diese Unternehmen.
Unter jüngeren Befragten fällt das Ergebnis zwar nicht ganz so deutlich aus – aber auch hier haben die Hausbanken die Nase in der Vertrauensfrage weit vorne:
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