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Paukenschlag: Target2-Migration wird auf März 2023 verschoben

Die für Ende November geplante „Target2-Migration“ ist geplatzt. Statt wie ursprünglich geplant am 21. November soll der Komplettumbau der Zahlungsverkehrs- und Wertpapierabwicklung in der Eurozone nun am 20. März 2023 über die Bühne gehen. Das teilte die Europäische Zentralbank am Donnerstagmittag mit. Die technischen Schwierigkeiten mit den neuen Systemen (siehe auch unser Stück „Deutsche Banken fürchten Target2-Chaos. Brandbrief an die Bundesbank“ von Anfang September) sind offenbar immer noch zu groß – und damit auch die Risiken, dass eine Umstellung schon per Ende November die europäischen Zahlungsverkehrssysteme ins Chaos stürzen könnte.

Die Target2-Migration (im Fachjargon auch  „Target2/T2S-Konsolidierung“ genannt) ist eines der komplexesten IT-Projekte in der Geschichte der Eurozone.  Im Kern läuft die Umstellung zwar auf Ebene der Notenbanken – die Auswirkungen allerdings betreffen in erster Linie die mehr als 5.000 Geschäftsbanken in der Eurozone und damit auch die 340 Millionen Bürger. Allein in Deutschland hängen um die 1.700 Banken und Sparkassen direkt oder indirekt an dem System. Ziel der Konsolidierung ist es, drei parallel betriebene, seit den Neunzigerjahren schrittweise entwickelte und damit teils veraltete Systeme in Gänze durch ein neues System zu ersetzen – und zwar die Systeme für Zahlungsabwicklungen, für die Wertpapierabwicklung und für Instant Payments.

Allerdings kann die Umstellung nicht Schritt für Schritt erfolgen, sondern nur in Form einer „Big Bang“ Migration an einem Wochenende – ein Zurück in das alte System kann es nach dem Startschuss für den Wechsel nicht geben. Das sorgt für eine enorme Fallhöhe des Projekts, denn pro Tag werden allein über das bisherige Target2-System Transaktionen über 1700 Mrd. Euro abgewickelt.

Auf der Zielgeraden der bereits einmal um ein Jahr verschobenen Umstellung waren massive technische Probleme aufgetreten. Dem Vernehmen nach kamen die Notenbanken nicht mit der Abarbeitung der Fehlermeldungen hinterher. Entsprechend waren auch die für die Umstellung wichtigen Tests in der neuen IT-Umgebung lange Zeit nicht durchführbar. Eigentlich sah der Projektzeitplan vor, bis zum 30. September alle Tests abgeschlossen zu haben. Diese Frist wurde dann noch einmal um drei Wochen verlängert – und mit deren Ablauf scheint nun klar zu sein, dass die Umstellung im November zu große Risiken birgt.

Die Verschiebung dürfte die Banken ärgern. Als sich Finanz-Szene Anfang September bei einem halben Dutzend deutschern Institute erkundigte, plädierte keines für eine Verschiebung, sondern dafür, lieber alles daranzusetzen, den Termin 20. November zu halten. Denn: Für die Migration und die vorherigen Tests müssen die Institute große technische und vor allem personelle Ressourcen bereithalten. Diese wollte man eigentlich ab Ende November nach einem „Big Bang“ wieder abziehen. Sie müssen nun aber noch bis März vorgehalten werden – wenn denn dieser Termin haltbar ist.

In ihrer Mitteilung zum Verschieben übt die EZB ungewöhnlich deutlich Selbstkritik. Dass einige Markttteilnehmer ihre Tests nicht komplett absolvieren konnten, sei auch der zeitweiligen Nichtverfügbarkeit der Testumgebung und Softwaredefiziten geschuldet. Dies spiegelt die Haltung vieler Banken, die mit dem Prozess höchst unzufrieden waren. In seinem Brandbrief Anfang September an die Bundesbank nannte etwa der private Bankenverband die Zahl der Systemfehler „besorgniserregend“ – mit der Folge „[erheblicher] Risiken für die Funktionsfähigkeit des Zahlungsverkehrs und damit der gesamten Wirtschaft“.

Deutsche Banken fürchten Target2-Chaos. Brandbrief an die Bundesbank

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