von B. Neubacher, C. Kirchner und A. Storn , 12. April 2023
Rund 20 Mio. Debitkarten von Visa bzw. Mastercard kursieren mittlerweile in Deutschland – Tendenz steigend. Trotzdem, das zeigen Recherchen von Finanz-Szene, suchen Kreditwirtschaft und Schufa immer noch nach einem angemessenen Umgang mit dem Phänomen. Oder anders formuliert: Der Boom überfordert sie.
Rückblick: Bereits im November hatten wir exklusiv berichtet, dass sich der Schufa-Score von Kunden tendenziell verschlechtert, wenn deren Banken anstelle der klassischen Kreditkarte plötzlich die Debitkarte zu ihrem „Top-of-Wallet“-Produkt machen (also zu ihrer kostenlosen Standard-Karte). Das liegt daran, dass eine störungsfrei genutzte Kreditkarte aus Sicht der Schufa ein sogenanntes Positivmerkmal darstellt. Fällt die Karte weg, geht auch die positive Kredithistorie verloren – mit entsprechenden Konsequenzen für die Bonität des Kunden, gerade in den ersten Monaten nach dem Kartenwechsel.
Neue Recherchen von Finanz-Szene zeigen nun, dass die Probleme mit den Debitkarten von Visa bzw. Mastercard noch deutlich tiefer liegen. So gibt es neben dem im November skizzierten Szenario offenbar noch etliche weitere Fälle, in denen eine Debitkarte den Schufa-Score des Kunden unnötig zu verschlechtern droht.
Doch der Reihe nach:
Über viele Jahre, ach was, Jahrzehnte war es das gängige Muster, dass sich Bankkunden neben der obligatorischen EC-Karte eine Kreditkarte zulegten. Mitte der 90er-Jahre überschritt der deutsche Markt die Marke von 10 Mio. Kreditkarten, seither legte die Zahl noch einmal deutlich stärker zu, auf zwischenzeitlich 40,6 Mio. Stück per Ende 2020. Der Schufa war dies recht, lieferten die Kreditkarten doch immer neue Daten über die Zahlungsfähigkeit ihrer Nutzer. Eine Kreditkarte, über einen langen Zeitraum genutzt, und das ohne Auffälligkeiten – das ist grundsätzlich erstmal gut (anders sehen die Dinge natürlich aus etwa bei sieben Kreditkarten, aber dazu kommen wir gleich).
Diese Zeiten des Wachstums sind seit kurzem vorüber. 2021 sank die Zahl der hierzulande ausgegebenen Kreditkarten um 2,1 Mio. auf nur noch 38,4 Mio. Stück – ein erstaunliches Minus von 5%. Als Zeichen einer gewissen Sättigung, aber auch als Indiz für Änderungen in den Kartenstrategien vieler Banken (siehe auch unser großes Stück „Die Karten-Strategien von 30 deutschen Retailbanken“ von Ende 2020). Immer mehr Institute setzten auf Debitkarten von Visa und Mastercard und machten (wie zum Beispiel die DKB oder Comdirect) bis dato kostenlos ausgegebene Kreditkarten auf einmal kostenpflichtig – was Kunden abschreckte.
So kursierten in Deutschland per Ende 2021 geschätzt gut 20 Millionen (reine) Debitkarten von Visa und Mastercard. Experten erwarten, dass diese Zahl durch Initiativen der zwei Anbieter sowie durch das nahende Aus des Maestro-Systems (mit dem viele Girocards ihre internationale Verwendbarkeit verlieren würden) deutlich steigen dürfte. Das Problem ist nur: Die Zusammenarbeit zwischen Banken und Schufa in Sachen Debitkarten hält mit der Entwicklung offenbar nicht Schritt.
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Mit Debitkarten getätigte Zahlungen werden direkt vom Konto abgebucht. Debitkarten haben prinzipiell keinen Kreditrahmen, sieht man einmal vom Dispo ab, den einem die Bank auf das Konto einräumt. Das unterscheidet sie von klassischen Kreditkarten, bei denen Zahlungen in der Regel erst nach 30 Tagen oder gebündelt am Ende des Monats vom Konto abgebucht werden. Dort gewährt die Bank einem in der Zeit zwischen Transaktion und Abbuchung somit Kredit.
Die Schufa kümmert diese Unterschiede bisher nicht. Meldet die Bank eine Debitkarte von Visa oder Mastercard an die Schufa, behandelt diese die Debitkarte automatisch wie eine Kreditkarte.
Das ist aus zwei Gründen problematisch:
Dass die Schufa Kreditkarten sowie Debitkarten von Visa und Mastercard über einen Kamm schert, liegt daran, dass sie bisher noch kein eigenes Merkmal für die Debitkarten von Visa und Mastercard eingeführt hat. Daher laufen die Karten – sofern sie gemeldet werden – wie gewöhnliche Kreditkarten durch den Apparat der Schufa, mit den beschriebenen Auswirkungen auf den Score der Kunden.
Die Schufa erklärt auf Anfrage: „Um analysieren zu können, ob und wie sich neue Zahlungsmittel auf das Zahlungsverhalten von Personen und damit auf unsere Scorekarten auswirken, braucht es eine valide Datenlage und – damit verbunden – Zeit. Wir analysieren diese Entwicklungen noch gemeinsam mit unseren Vertragspartnern, um zu erkennen, ob die Einführung neuer Meldemerkmale sinnvoll ist – oder ob die Meldung einer Kreditkarte zum gleichen Ergebnis führt. Eine Entscheidung für ein eigenes Merkmal ist noch nicht gefallen.“
Was die Lage weiter verkompliziert: Die Auskunftei nimmt grundsätzlich auch keine Differenzierung vor, was die Dauer eines per Karte verfügbaren Kreditrahmens angeht. Im Falle klassischer Kreditkarten beträgt dieser rund einen Monat, bei manchen Varianten werden Außenstände mitunter aber schon nach wenigen Tagen dem Konto belastet, zudem kann der Kreditrahmen deutlich schmaler ausfallen.
Im Schufa-Score der Kunden schlagen sich beide Karten-Arten gleichermaßen nieder. „Die Schufa macht keinen Unterschied, ob mit der Nutzung einer Karte ein kreditorisches Risiko über zwei oder über 30 Tage verbunden ist“, erklärt ein Schufa-Sprecher. Ein Beobachter beklagt daher mit Blick auf die Gesamtlage „generell komplett falsche Einmeldungen und Abgrenzungen“ zwischen Debit- und Kreditkarten durch die Schufa.
Was zu noch mehr Durcheinander (und tendenziell zu einer Ungleichbehandlung von Kunden bei der Schufa) führt, ist die Tatsache, dass die Banken mit den Debitkarten höchst unterschiedlich umgehen.
Grundsätzlich verpflichtet das Gesetz die Banken, sich gegen Risiken, die mit einer Kreditvergabe verbunden sind, abzusichern. Die Einschätzung allerdings, ob solche Risiken vorliegen, liegt jeweils im Ermessen der einzelnen Bank – und zwar unabhängig davon, ob eine Karte als Debitkarte, Kreditkarte oder anderweitig daherkommt. Und so kann es sein, dass Bank A anders vorgeht als Bank B. Ein paar Beispiele, die das Spektrum zeigen:
Kurzum: Wie viele der rund 20 Millionen Debitkarten von Visa und Mastercard hierzulande tatsächlich von der Schufa erfasst und als Kreditkarten verarbeitet werden, bleibt unklar.
Daraus ergeben sich zwei Szenarien, die für den Kunden je nach individueller Situation Vor- oder eben auch Nachteile haben können:
Einen Sonderfall stellen virtuelle Debitkarten dar. Virtuell im Sinne von digital. Diese Karten lassen sich nicht nur für Online-Zahlungen verwenden, sondern auch mit Google Pay und Apple Pay koppeln. Ein Beispiel für eine virtuelle Debitkarte von Mastercard ist die Mainpay-Karte, welche die Deutsche Bank im Stadion von Eintracht Frankfurt anbietet.
Die Schwierigkeit: Virtuelle Debitkarten können auch nach dem Modell „Decoupled Debitcard“ ausgegeben werden, bei dem die kartenausgebende Bank die offenen Beträge von einem weiteren Konto des Kunden bei einem anderen Haus liqiuidiert – und bis dahin faktisch einen Kreditrahmen gewährt. Das ist etwa bei Systemen wie Samsung Pay der Fall (wo die Solarisbank als kartenausgebende Bank offenen Beträge vom Referenzkonto des Kunden einzieht) und kann dazu führen, dass die Debitkarte als Kreditkarte mit entsprechendem Rahmen bei der Schufa eingetragen wird.
Bei virtuellen Debitkarten bestehe „anders als bei klassischen Debitkarten gegebenenfalls ein kreditorisches Risiko“, erläutert die Schufa. Das Konto, von dem abgebucht werde, liege ja nicht zwingend bei dem Kreditinstitut, das zum Beispiel Apple Pay anbiete. Beim Drittinstitut wiederum könne eine Lastschrift womöglich mangels Kontodeckung nicht eingelöst werden. “Daher kann eine ,Debitkarte’ mit kreditorischem Risiko als Kreditkarte gemeldet werden”, teilt die Auskunftei mit.
Auf die Mainpay-Karte trifft dies zum Beispiel zu. In ihren Vertragshinweisen lässt sich die Deutsche Bank allerdings immerhin von Stadionbesuchern bestätigen, dass diese den Hinweis auf die Anfrage und den Eintrag bei der Schufa zur Kenntnis genommen haben.
Ob und wie weit die Meldung einer solchen virtuellen Debitkarte an die Schufa negative Folgen für den Score eines Kunden hat, hängt natürlich wieder von der Zahl der Karten ab, die der Kunde (oder die Kundin) bereits besitzt.
Kurz zusammengefasst: Deutschlands Banken schwenken bei der Frage, welche Karte sie als ihr „Top of Wallet“-Produkt vermarkten, zunehmend auf die Debitkarte um. Dabei üben manche Institute sanften Druck aus, indem sie die bisher kostenlosen Kreditkarten auf einmal bepreisen und sie so dem Nutzer verleiden, andere verschicken die Debitkarten gleich von sich aus und drängen sie den Kunden förmlich auf.
Hinsichtlich der Behandlung der neuen Karten durch die Schufa herrscht dann Wildwest. Die Banken melden Debitkarten von Visa und Mastercard mal der Schufa, mal aber auch nicht. Und die Schufa wiederum kümmert es nicht, dass Debitkarten etwas anderes sind als Kreditkarten. Sie schert alle über einen Kamm und bezieht Debitkarten automatisch in die Kalkulation des Kredit-Scores von Kunden mit ein – mit möglicherweise negativen Folgen. Der Kunde seinerseits erfährt von all dem nichts – und wundert sich womöglich, warum er auf einmal keinen neuen Handy-Vertrag bekommt.
Neue Debitkarten drücken die Schufa-Scores von Millionen Bankkunden
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